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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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vernünftiger Erwachsener, meine Gedanken zurück zum wahren Zweck meines hiesigen Aufenthaltes. Ich rief mir meine Gefühle der vergangenen Nacht in Erinnerung, als ich diesen seltsamen Malereien gegenübergestanden hatte, die mich so sehr an Beddoes’ Theaterstück erinnerten. Die äußeren Umstände sowie meine geistige Verfassung hätten direkt einem romantischen Schauerroman entstammen können, vielleicht, dachte ich mir, würde jetzt im Tageslicht nichts mehr davon zu bemerken sein.
    Ich beschloss, dies zu überprüfen, und fand mehr durch Glück als durch Berechnung den Weg zur verfallenen Kapelle.
    Wie Recht ich doch hatte. Meine Eindrücke nachts zuvor waren zu einem nicht geringen Maß verzerrt. Im Tageslicht erschien die Kapelle wesentlich kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte, und war damit noch weiter von der »weiträumigen gotischen Kathedrale« aus Beddoes’ Stück entfernt, auch gab es nichts, das der Grabkammer der Herzöge von Munsterberg entsprach, aus der der wiederauferstandene Wolfram erscheint. Und von den Fresken schien bei Tageslicht weit weniger sichtbar zu sein als im Mondenschein. Jene von mir gehegte Vorstellung, dass vielleicht Holbein oder einer seiner Schüler von Basel auf einen Sprung herübergekommen war, um hier mit den Entwürfen für seinen Totentanz zu experimentieren, löste sich in nichts auf. Ihr Stil ist recht grobschlächtig, es mangelt ihnen völlig an Holbeins Humor und Energie, die ihnen meine Vorstellungskraft in der Nacht zuvor verliehen hatte.
    Dennoch ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass Beddoes einige Zeit im Norden der Schweiz zugebracht hatte. Und sagt nicht auch Gosse in seinen Memoiren, dass er, nachdem er wegen der Unruhen von 1839 aus Zürich fliehen musste, in den benachbarten Kanton Aargau ging, wo ich mich jetzt aufhalte?
    Über diese Dinge brütend, schlenderte ich von der Kapelle fort, ohne sehr auf meinen Weg zu achten, bis ich schließlich oben am Kamm einer sanften Anhöhe aus dem Wald trat und sich mir ein Blick über die Burg bot. In der Ferne sah ich einen Wagen über die schneebedeckte Zufahrtstraße zum Haupteingang kriechen, und alle Gedanken über Beddoes und die Vernunft waren wie ausgelöscht.
    Dies musste der Wagen sein, der Emerald zur Fichtenburg brachte. Ohne auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden, rannte ich den Hang hinab, befeuert vom Wunsch, der Erste zu sein, der sie begrüßte, wenn sie ausstieg. Ich glaube, mir ging sogar die verrückte Idee durch den Kopf, vor ihr meinen Anorak auszubreiten, damit ihre zierlichen Füße nicht mit dem Schnee in Berührung kamen.
    Natürlich hatte ich für meine Ungeduld zu zahlen, denn statt des edlen Ritters, der seine Dame mit gefälliger Höflichkeit begrüßt, bekamen die Insassen des Wagens einen verzweifelt um Gelächter bemühten Hofnarren zu Gesicht, der als eine Art zappelnder Schneeball den Hang hinabrollte.
    Bis ich mich wieder aufgerappelt, den größten Teil des Schnees abgeklopft und den Weg in den Vorhof gefunden hatte, luden die Neuankömmlinge bereits den Wagen aus, während Frau Buff im Eingang zur Burg stand, um sie zu begrüßen.
    Mit einem Blick erfasste ich, dass Emerald nicht unter ihnen war. Wie hatte ich nur denken können, dass Emerald in einem verbeulten VW Golf Variant mit Schneeketten reiste!
    Die Reisegesellschaft bestand aus drei jungen Frauen, allesamt Fremde, wobei mir jedoch die kleinste unter ihnen entfernt bekannt vorkam.
    Dies und der Grund des gewaltigen Missverständnisses, unter dem ich zu leiden hatte, wurden offenbar, als wir uns gegenseitig vorstellten.
    Die kleine Frau war Musetta Lupin! Sie war die Tochter, für die Frau Buff die Zimmer vorbereitet hatte. Hätte ich nur einen Gedanken daran verschwendet, hätte mir sofort klar sein müssen, dass die göttliche Emerald zum Wintersport nicht ihre Zeit und Schönheit an einen kleinen Tümpel wie den Blutensee verschwendet; sie würde ein modisches Resort mit ihrer Anwesenheit beehren, wo schöne Menschen schönen Dingen nachgingen.
    Natürlich fiel es mir schwer, meine Enttäuschung zu verbergen, doch als die Mädchen (denn das waren sie; alle unter zwanzig, und keine von ihnen, so nahm ich an, sehr erfahren im Leben) mich zu ihrem von Frau Buff bereiteten Mittagessen einluden, lehnte ich höflich ab und kehrte ins Chalet zurück, um meine Wunden zu lecken. Und um Trost zu finden, indem ich diesen Brief begann.
    Wie glücklich ich mich schätzen darf, jemanden wie Sie zu haben, an den ich

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