Die Launen des Todes
dargestellt wurde. Denn in seinen Knochen harrte doch das Leben aus, das schmerzensreiche, schaurige, unerträgliche Leben. Sein Körper und sein Geist und seine Seele sehnten sich nur danach, die Fahne der Kapitulation zu schwenken, die rebellischen Knochen aber beharrten darauf, den grausamen Machenschaften des Todes zu widerstehen. Er lag da wie Leningrad unter der Belagerung, am Leben gehalten vom schieren Schmerz des Angriffs, der auf seine Vernichtung abzielte.
Aber nicht dass seine Knochen für nichts anderes gut gewesen wären als für Schmerzen. Am Dienstagmorgen war er aus dem Bett gekrochen, hatte Ellies Versuche, ihn davon zu überzeugen, dass er sogar für Dalziels Gesellschaft nicht fit genug wäre, als typisches Frauen-Gehabe abgetan, war in seinen Wagen gestiegen und hatte eine Weile lang dagesessen, wobei ihn das Gefühl beschlich, irgendetwas stimme nicht, ohne dass er jedoch den Finger darauf legen konnte. Das Hauptproblem schien darin zu bestehen, etwas zu finden, wo er den Zündschlüssel reinstecken konnte. Allmählich dämmerte ihm, dass er auf dem Rücksitz saß. Bei dem Versuch dann, seinen Irrtum zu korrigieren, machte sich die Unzuverlässigkeit seiner Glieder äußerst deutlich bemerkbar. Daraufhin erschien Ellie, die seine Verrenkungen vom Haus aus mit wachsender Besorgnis beobachtet hatte, und halb führte, halb zerrte sie ihn wieder hinein.
Der Tod ist ab dem Augenblick unserer Geburt unser ständiger Begleiter, er ist nie weiter als einen Herzschlag entfernt, und dennoch machen wir ihn zu einem Fremden, einem gefährlichen Fremden noch dazu, einem erbitterten Feind.
Ich nicht, sagte Pascoe voller Inbrunst. Ich nicht. Komm schon, Kumpel. Ich bin ganz dein, hauen wir ab, über die Berge und fort, weit fort!
Er hörte auf dem Treppenabsatz Rosie, der von Ellie der Zutritt zu seinem Zimmer untersagt wurde.
»Warum?«, fragte sie. »Wird Daddy sterben?«
»Natürlich nicht«, sagte Ellie. »Er hat nur die Grippe.«
Warum log sie? Man soll Kinder nicht anlügen. Sag ihnen die Wahrheit. Natürlich lag er im Sterben! War es möglich, dass ein Mensch, der sich so fühlte wie er, nicht im Sterben lag? Sein Körper zumindest, die meisten Teile davon wussten es. Würden nur die verdammten Knochen, der unbestechliche, der unsterbliche Teil, das Mehrheitsvotum akzeptieren und ihn in Frieden sterben lassen! Wenigstens seine Tochter wusste, wie ernst es wirklich um ihn stand.
»Wenn Daddy vor Samstag stirbt, heißt das dann, dass ich nicht zu Suzies Party im Estotiland kann?«, fragte Rosie besorgt.
»Nicht unbedingt«, sagte Ellie. »Ich bin mir sicher, dass sich irgendwo in der Hüpfburg eine Ecke finden lässt, wo wir ihn aufbahren können.«
Wenn die Sonne scheint, blau der Himmel über uns prangt und wir voller Hoffnung sind, danken wir Gott für unser Leben. Nur wenn die Gewitterwolken alles Licht verdunkeln und unsere Hoffnungen zerstört am Boden liegen, wenden wir uns an den Tod, um ihm vorsorglich unseren Dank auszusprechen. Doch auch am strahlenden Morgen sollten wir dem Tod danken.
Später natürlich, als er sich erholte, erfüllte ihn die Erinnerung an sein weinerliches Selbstmitleid mit Scham. An welchem Punkt er Frère Jacques’ signiertes Buch, das auf den Nachttisch lag, zur Hand genommen hatte, vermochte er nicht mehr zu sagen. Aber von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf eine zufällig gewählte Stelle und hoffte, eine Strategie zu finden, um den Kung-Flu-Angreifern standzuhalten.
Wenn wir am Leben sind, sollte jeder dritte Gedanke unserem Grab gehören, wenn wir aber im Sterben liegen, sollte jeder dritte Gedanke unserem Leben gehören.
Er versuchte es damit und musste feststellen, dass das Possessivpronomen im Plural durchaus zutreffend war, denn die fiebrige, albtraumhafte Welt, in der er sich die meiste Zeit aufhielt, wurde blitzartig von kurzzeitigen Phasen vollkommenen Bewusstseins erhellt, in denen er alles wusste, was um ihn herum vor sich ging. Vielleicht hatte er einiges von Ellie aufgeschnappt, vielleicht auch bei den kurzen, auf Abstand bedachten Besuchen von Dalziel und Wield, der zum Dienst zurückgekehrt war und sich anscheinend wieder unter Kontrolle hatte.
Zum Beispiel wusste er, dass Dalziel mit Rye Pomona gesprochen hatte, denn Dalziel hatte ihm bei seinem Besuch davon erzählt, aber irgendwie glaubte er ihre Unterhaltung selbst mitzuerleben und nicht nur einer kurzen Zusammenfassung zu lauschen …
»Zeit für einen kurzen Plausch,
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