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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Sir?«
    Der »Gents« war die Kurzform für den Mid-Yorkshire Gentlemen’s Club, bei dem Dalziel vor allem deswegen Mitglied war, weil ihn so viele am liebsten davon ausgeschlossen hätten.
    »Die meisten von denen küssen den Boden, auf dem er wandelt«, sagte Dalziel. »Wichser. Können in einem Pudding das Steak nicht von der Niere unterscheiden.«
    Wield blickte traurig auf die letzten Krümel der Pastete, die noch auf dem Teller lagen, verabschiedete sich erneut und setzte sich in Richtung Tür in Bewegung.
    Pascoe kehrte mit zwei Pints von der Theke zurück. Üblicherweise trank er mittags kein Bier, der Rülpser Belchamber allerdings hatte einen üblen Nachgeschmack hinterlassen. »Boss«, sagte er, als er sich setzte, »ich hab mir überlegt …«
    »Scheiß aufs Denken, probier’s mit dem Trinken. Dem fliegt alles zu, der was zu schlucken hat.«
    Pascoe hob sein Glas.
    »Da könntest du Recht haben, Boss«, sagte er. »Nieder mit den Rechtsverdrehern.«
    »Darauf trinke ich«, sagte Dalziel.

[home]
    5
    Das Beinhaus
     uch am lichtesten Dezembertag bricht früh die Abenddämmerung herein, und wenn tief die Wolken durchsacken wie die verstaubten Stoffbahnen über einer vergessenen Totenbahre, herrscht kaum mehr Licht als jener trübe Schimmer, den man in den Augen eines Toten erhascht.
    Obwohl noch nicht einmal vier Uhr, waren die Straßenlampen in der Peg Lane bereits an, als Rye Pomona aus dem Church View schlüpfte.
    Unter dem Arm trug sie einen Hoover-Staubsaugerbeutel.
    Zunächst hatte sie mit Besen und Schaufel die feine Asche zusammenzukehren versucht, die, wenn dem Leichenbestatter zu trauen war, von jenen Molekülen übrig geblieben war, die einst in ihrem gegenseitigen Ringelreihen die Organe und Gliedmaßen ihres geliebten Zwillingsbruders Sergius gebildet hatten.
    Doch sosehr sie sich auch mühte, Porzellanscherben, Wohnungsstaub, Teppichwollmäuse und der herumliegende Krimskrams ihres Schlafzimmers hatten sich auf der Schaufel untrennbar miteinander vermengt, während Aschespuren in den Ritzen und Spalten außerhalb der Reichweite der Borsten blieben und nur durch Gabriels Trompete am Tag des Jüngsten Gerichts hervorzulocken wären.
    Oder durch einen Hoover-Staubsauger, wenn man nicht so lange warten konnte.
    Mit dieser Art von Galgenhumor versuchte sie sich abzulenken, als sie sich daranmachte, ihr Zimmer zu saugen. Was konnte sie noch tun? Ein Kirchenlied singen? Ein Gebet sprechen? Nein, Serge hätte die Absurdität der Situation zum Brüllen komisch gefunden, und sie wollte ihn nicht enttäuschen, indem sie sich in Gefühlsduselei verlor.
    Bei näherer Betrachtung hätte Serge es wohl für ziemlich lächerlich gehalten, seine Asche in einer Vase auf einem Regalbrett in ihrem Schlafzimmer aufzubewahren. »Scheiß-typisch!«, konnte sie ihn rufen hören. »Ich hab’s doch immer gesagt, du bist wie geschaffen für die Bühne. Du bist die wahre Königin des Dramas!« Nun, der Unfall hatte alle Karrierepläne zunichte gemacht. Selbst im Zeitalter der Teleprompter gab es für eine Schauspielerin keine große Zukunft, wenn ihr Gedächtnis völlig ausgelöscht war und sie nicht nur ihren Text, sondern die Sprache selbst vergaß, sobald sie die Bühne betrat. Aber, ach, welch kleiner Preis, den sie zu zahlen hatte, weil sie den Tod ihres nächsten Verwandten, ihres liebsten Freundes, ihres besseren Ichs verschuldet hatte. Dieser Meinung waren auch die Furien, die sie in ihrem Verlangen nach Vergeltung bis an die Grenzen des Wahnsinns – nein, darüber hinaus – verfolgten. Sie hätte gewarnt sein müssen. Die Aufzeichnungen aus der Geschichte und der Literatur stimmen darin überein. Sie unterscheiden sich nur im Grad des Schreckens, von dem unterschiedslos all jene heimgesucht werden, die versuchen, die Toten wiederauferstehen zu lassen. Dieser Abschnitt ihres Leben erschien ihr nun wie eine nächtliche Reise durch eine schaurig-düstere Landschaft, deren Schleier der Dunkelheit gelegentlich von kurzen Lichtblitzen erhellt wurde und dann Anblicke offenbarte, bei denen man sich wieder nach der Schwärze sehnte. Die Reise war vorüber, Gott sei Dank, doch die Vergangenheit war nicht einfach ein anderes Land, das man hinter sich lassen konnte. So schnell und so weit man auch reiste, Teile davon schleppte man immer mit sich. Nur Hat gab ihr die Hoffnung auf Freiheit. Bei ihm hatte sie vollkommenes, wenngleich zeitweiliges Vergessen gefunden. In ihm hatte sie alles und mehr wiedergewonnen, was

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