Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
glaubtest.«
»Nein, Pater. Ich glaube nicht an die Heilkräfte schmutziger Quellen und abgegriffener Holzfiguren. Auch alte Knochen und Holzsplitter dubiosester Herkunft entlocken mir keine Ehrfurcht, und seien sie vom Kreuz Jesu selbst. Genauso wenig wie ich daran glaube, durch einen Ablassbrief vom Fegefeuer verschont oder durch Zahlungen an geldgierige Priester von meinen Sünden befreit zu werden. Verzeiht, Pater, wenn ich Euch damit beleidige.«
»Deine Worte sind schroff, Meinhard, aber sie beleidigen mich nicht. Ich bin zu alt geworden und habe zu viel gesehen, um nicht zu wissen, dass im Namen der Kirche manch einer Schindluder mit dem Glauben treibt. Geld wird nie eine Sünde tilgen. Aufrichtige Reue vielleicht. Aber nicht Münzen oder andere Opfer. Und ich gebe dir auch Recht darin, dass die Verehrung von Reliquien einige seltsame Blüten treibt. Doch vergiss nicht, das einfache Volk verlangt greifbareBeweise des Göttlichen, und die rein geistige Natur unseres Schöpfers ist für es schwer zu verstehen.«
»Möglich, Pater. Aber meine leichtgläubige Mutter war eine gebildete Frau; sie hätte es besser wissen können. Dennoch hing sie mit abergläubischer Inbrunst an allen möglichen Fetzchen und Zettelchen, Splittern und Knöchelchen, die man ihr für schweres Gold andrehte. Ich versuchte, mit ihr darüber zu reden, und es gab schlimme Auseinandersetzungen, in denen ich sie mit harten Worten schmähte. Bei einer unserer Streitereien warf ich eines Tages einen der von ihr so geliebten Ablassbriefe in den Kamin. Wenn der Zettel schon in einem schlichten Holzfeuer verbrennt, versuchte ich ihr klar zu machen, wie soll er sie dann im Höllenfeuer schützen?
Sivert war Zeuge der Szene – und auch der entsetzlichen Prügel, die ich danach von meinem Vater bezog. Dennoch, zwei Monate später kam meine Mutter mit von Ehrfurcht durchdrungener Miene mit einem Splitterchen von der Wiege Christi von einer ihrer zahllosen Pilgerfahrten an. Ich konnte meine Zunge nicht zähmen und machte mich haltlos darüber lustig. Es setzte weitere Prügel. Sie schmerzten meinem Leib, doch sie festigten nur meinen Standpunkt. Kurz darauf tauchte auf dem Gut ein Reliquien-Krämer mit jenem Stein dort auf, und sie erwarb ihn. Ich durchwühlte heimlich den Packen des Mannes und fand etliche Hundeknochen, die in hübsche, aber billig vergoldete Holzkästchen gepackt waren und wahlweise als Finger des heiligen Johannes, Martins oder Petrus bezeichnet waren. Mehrere Phiolen mit Tränen derJungfrau Maria und Beutelchen mit Erde aus dem heiligen Land führte er auch mit sich.
Ich schilderte am Abend meine Funde und nannte den Mann einen Betrüger. Meine Mutter machte eine entsetzliche Szene, und ich nahm ihr dieses Amulett fort, von dem sie behauptete, es schütze seinen Träger. Ich fand den Kristall erstaunlich hübsch, das war aber auch alles. Sie beklagte sich bei meinem Vater über meinen Unglauben und mein unkindliches Verhalten, und er, der aus Prinzip immer auf der Seite meiner Mutter stand, weil er der Meinung war, Kinder hätten ihren Eltern bedingungslos zu gehorchen, verlangte von mir, ihr den Stein zurückzugeben. Ich wusste, er verabscheute im Grunde selbst diesen ganzen Aberglauben ebenso wie ich, und letztlich war ich das Streiten leid und wollte gehorchen. Das Beutelchen hatte ich in meinem Zimmer auf den Kaminsims gelegt. Doch dort war es nicht mehr. Meinen Worten schenkte weder meine Mutter noch mein Vater Glauben, denn Sivert hatte ihnen, während ich es suchte, berichtet, ich habe das Amulett genau wie den Ablassbrief ins Feuer geworfen, wo es in tausend Stücke zersprungen sei. Die Auseinandersetzung zwischen meinem Vater und mir nahm eine derartige Form an, dass ich tags darauf grußlos und ohne Bedauern das Haus verließ.«
Meiko nahm einen tiefen Schluck von seinem Wein, und ich spürte, wie er sich der aufgewühlten Gefühle von damals zu stellen versuchte. Melvinius hingegen schwieg nachdenklich und meinte dann: »Eine schwierige Ausgangssituation für einen sechzehnjährigen Jungen. Doch du hast sie offensichtlich gemeistert.«
»Ich hatte schon oft davon geträumt, die Welt zu bereisen, die Pflicht als Erbe des Gutes hatte mich jedoch davon abgehalten, diesen Wünschen mehr Raum als nötig zu geben. Doch nun fand ich einen fahrenden Händler, der mich als Gehilfen mitnahm. Ich konnte schreiben und rechnen und hatte Manieren, was ihm nützlich erschien. Sein Weg führte ihn nach Antwerpen, dem großen
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