Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
auch der Quelle zurückgeben. Ihr wisst doch, in der Mär heißt es, keines Menschen Hand darf ihn dabei berühren.«
Er hatte auf seine flache Hand den Stein gelegt, und ich beugte mich darüber, um ihn mit den Zähnen aufzunehmen. Das Summen in dem Kristall dröhnte in meinem Kopf, und unter meinen Schnurrhaaren wurde er warm. Er verbreitete plötzlich ein goldenes Licht um mich herum und schmeckte süß und köstlich.Ganz langsam schritt ich damit zum Quelltopf, zog mich am Rand hoch und schaute in das sich kräuselnde Wasser. Tief schien es mir zu sein, unendlich tief, als verberge sich ein bodenloser Brunnen darunter, aus dem ein fernes Licht leuchtete. Und es war mir, als blickten mich zwei waldgrüne Augen aus jener Ferne erwartungsvoll an.
Das Sehnen in meinem Herzen wurde schmerzhaft. Ich ließ den Stein in das Wasser fallen.
Es wurde ganz glatt, noch nicht einmal die Ringwellen seines Eintauchens bewegten die Oberfläche. Wie ein blanker Spiegel lag sie vor mir. Ich erkannte mein Gesicht darin, weiß, mit schwarzer Nase und roten Ohren. Doch die waldgrünen Augen waren nicht die meinen. Die Züge des Spiegelbildes veränderten sich. Ganz allmählich wurde aus dem Katzengesicht das einer überirdisch schönen Frau. Goldene Haare umflossen sie wie schimmernde Wellen, ein zärtliches Lächeln lag auf ihren Lippen, und als sie sich aus dem Wasser erhob, wogte ihr weißes Gewand um sie, ohne dass ein Wind es berührt hätte. Im Schein des Mondes schimmerten darauf die Tropfen wie Perlen und geschliffene Kristalle. Es war nicht feucht, sondern warm und trocken und duftete nach Farn und knospenden Heckenrosen, als sie mich in den Arm nahm. So sanft und inniglich streichelten mich ihre Hände, so liebevoll waren ihre leise gemurmelten Worte. Ich legte meinen Kopf an ihre Schulter und schloss beglückt die Augen. Selbst schnurren konnte ich nicht mehr. War es eine erfüllte Hoffnung, war es ein Erinnern an eine andere Zeit, an eine andere Welt? Jene Fee, die Herrin der Quelle – ich hatte sie einst gekanntund dann verloren. Vermisst und nun wiedergefunden. Die Sehnsucht in meinem Herzen war gestillt.
Ich wollte bei ihr bleiben.
»Nein, Mirza«, wisperte sie mit gütiger Stimme. »Nein. Später kehrst du ganz bestimmt zu mir zurück, doch jetzt noch nicht. Du hast noch andere Aufgaben in dieser Welt, und Liebe will vergolten werden. Aber, meine kleine Freundin, dein Leben wird lang und glücklich sein, und erst wenn die Bürde für dich zu schwer wird, wirst du das Wasser meiner Quelle trinken und zu mir kommen. Dann ist dein Heim wieder bei mir. Ich warte auf dich.«
Ganz vorsichtig setzte sie mich auf den Boden. Und so konnte ich sehen, wie die Menschen, die mich begeleitet hatten, auf sie reagierten.
Clemens hatte den Arm um Kristins Schultern gelegt und sah gebannt zur Quelle hin. Kristin blinzelte mit den Lidern und schüttelte verwirrt den Kopf. Jehan war niedergekniet und sah mit fassungsloser Bewunderung zu der Schönen auf.
Melvinius aber...
Melvinius war verwandelt.
Er mochte die weiße Mönchskutte tragen, doch sie wirkte nun wie ein kostbares Gewand, gleich dem ihren. Seine Haare und sein Bart schimmerten silbern, sein Gesicht war nicht mehr vom Alter gezeichnet, sondern leuchtete jung und kraftvoll. Aufrecht und mächtig stand er da, ein Fürst unter den Alten und Weisen.
»So habe ich dich wiedergefunden, meine Herrin!« »So haben wir uns wiedergefunden, mein Geliebter!«
»Lange irrte ich, hatte vergessen, wonach ich suchte, war sterblich geworden und gefangen in der irdischen Welt, im Kreislauf von Leben und Vergehen.«
»Es hat ein Ende, nun, wenn du willst, mein Prinz. Trinke aus der Quelle, und du wirst den Weg in die andere Welt zurückfinden. Den Weg in dein Heim, in dein Reich.«
Die Herrin der Quelle hielt einen goldenen Kelch in der Hand und bot ihn ihrem Feenprinzen an. Doch zu meiner Überraschung nahm er ihn nicht.
»Geliebte, harre noch eine Weile aus. Gleich dieser kleinen Katze habe ich noch Aufgaben zu erfüllen. Ich habe in dieser Welt Verfehlungen begangen, die gesühnt werden müssen. Ich habe Pflichten auf mich genommen, die noch darauf warten, erfüllt zu werden. Und Liebe, die erwidert werden will, gibt es auch.«
Die Schöne nickte und sah ihn voll Verständnis und Güte an.
»Doch wenn du dieses Leben abgeschlossen hast...«
»...dann werde ich zu dir kommen, das Wasser deiner süßen Quelle trinken und mein Reich wieder in Besitz nehmen. Bald, meine Herrin.
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