Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
sie mich streicheln wollte, zuckte ich doch ein wenig zurück. Ihre Finger sahen sehr grün bekleckst aus.
»Oh, entschuldige. Beinahe hätte ich dir Farbe in dein schönes Fell geschmiert.«
Kluges Mädchen. Ich drückte mich kurz an ihr Bein, damit sie merkte, dass ich es ihr nicht übel nahm. Sie musterte mich plötzlich sehr intensiv, und ihr durchdringender Blick wäre mir bei jedem anderen Menschen unangenehm gewesen. Dann lächelte sie und machte einen Schritt auf die Wand zu. Geschwind arbeitete sie an dem feuchten, weißen Untergrund. Die Gestalten, die darunter mit einem spitzen Griffel vorgezeichnet waren, verschwanden nicht ganz, und sie legte die eingedrückten Linien sehr rasch mit dunklerer Farbe aus. Ich erkannte mit einem Mal deutlich, was sie darstellen wollte. Ein Mann kniete im Vordergrund, weitere standen vor und neben ihm und hielten die Hände anbetend gefaltet.
»Ich werde mir eine kleine Abwandlung des Themas erlauben, Mirza«, meinte Kristin mit einem spitzbübischen Grinsen und fuhr mit dem Griffel unten am Saum des weiten, faltenreichen Gewandes des Knienden entlang. Ehe ich mich versah, erschienen da die Umrisse eines Katzenkopfes, der unter dem Stoff hervorlugte.
Schnell hatte Kristin die Farben in den Tiegeln angerührt, schaute mich noch einmal kritisch an und trug sie dann auf die Wand auf.
Ich war begeistert! Das war ja ich! Ganz genau mit roten Ohren und schwarzer Nase. So, wie ich mich im Fischteich auch gesehen hatte.
Vor lauter Verlegenheit musste ich mich erst einmal gründlich putzen.
»So, Mirza, jetzt haben wir dich unter dem Mantel des heiligen Joseph versteckt. Ich hätte die Idee eigentlich schon früher haben sollen. Hier, zu den Füßen Mariens an der Quelle, müsste eigentlich eine Katze liegen.«
Aha, die Frau hieß Maria. Ein sehr alltäglicher Name für die Menschen, wie ich bisher feststellen konnte. Genau wie ihr Gesicht recht alltäglich aussah. Für eine Frau mit einer Aureole von Güte und Weisheit hätte ich mir ein anderes gewünscht. Aber das ist ja nur Katzenmeinung.
Eine Weile schaute ich ihr noch zu, aber als sich dann die Mönche zu ihrem gemeinsamen Singen in der Basilika versammelten, machte ich mich flugs auf den Rückweg zur Bibliothek.
Immerhin waren die letzten Stunden ein sehr lehrreiches Kapitel gewesen.
Ein fast vergessenes Kapitel
Der Bruder Infirmarius beäugte mich sehr kritisch, aber Melvinius ließ keinen Zweifel daran, dass er mich in seiner Kammer behalten wollte. »Tiere gehören in die Ställe«, murrte der Mann noch einmal, aber ein von Mäusen angenagter medizinischer Codex belehrte ihn dann doch eines Besseren. Ansonsten schien er mir ein verständiger Mensch zu sein, denn er empfahl dem Pater, täglich zweimal einen langsamen Gang durch die Gärten zu machen, um seine Gesundheit zu festigen. Er forderte Yvain auf, aus der Kleiderkammer entsprechende Gewänder und feste Schuhe zu besorgen. Ein schöner glänzender Spazierstock fand sich auch ein.
So traf ich auf meinen eigenen Runden nun häufig den Pater, in einen weiten Umhang gehüllt, das Haupt mit einer Kapuze bedeckt. Hin und wieder schloss ich mich seinem Gang ein Stückchen an, was ihm sichtlich gefiel. Mir auch, denn wenn er dabei war, trauten sich Laus und Wanze nicht, sich an mir die Krallen zu schärfen. Und auch Diabolo hielt sich weitestgehend von Menschen fern.
Ich lernte auf diese Weise völlig neue Gebiete kennen. Zum Beispiel die Apfelscheune, die sich hinter den Hecken der Obstwiesen befand. Äpfel, hatte der Infirmarius gesagt, seien ebenfalls gut für die Gesundheit,und deshalb nahm sich Melvinius immer zwei oder drei saftige Exemplare mit, wenn wir dort Halt machten. Die Früchte waren jetzt gerade richtig reif geworden, und die Knechte lagerten einen Teil davon für den Winter auf Borden. Andere wurden von Mägden in Scheiben geschnitten, auf hölzernen Darren ausgebreitet und getrocknet. Das Fallobst und die angeschlagenen Früchte aber kamen in die Kelter. Der Pater erklärte mir das alles und machte sich nichts daraus, dass das Gesinde sich oft genug an den Kopf fasste und ihn für schwachsinnig hielt, weil er mit einer Katze plauderte. Ich hingegen verstand die Menschen dadurch wieder ein bisschen besser. Sie mussten sich Vorräte schaffen, denn sie waren einfach nicht von Natur aus wintertauglich. Sicher, auch wir Bepelzten hatten in der kalten Jahreszeit hin und wieder Versorgungsprobleme, aber man konnte überleben. Glücklicherweise
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