Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
an mir. Meine eigentliche Fellfarbe ist ja weiß. Aber ich habe sehr dekorativ über den Körper verteilt einige rote und schwarze Stellen. Ein besonders eleganter schwarzer Streifen zieht sich zwischen den Augen bis zu meiner Nase hin, die deshalb auch schwarz ist. Beide Ohren leuchten rot, der Bauch schimmert selbstverständlich reinweiß, der Rücken ist gefleckt und der Schwanz wiederum vollkommenschwarz. Lange Zeit, das muss ich gestehen, war mir gar nicht klar, dass er zu mir gehört.
»Tiere mit roten Ohren, so sagt man in meiner Heimat, sind Grenzgänger zur Anderwelt. Bist du eine Feenkatze, Mirza?«
Kommen wir nicht alle aus einer anderen Welt? Was für ein überaus seltsamer Mann. Er sprach mit mir, was nicht viele Menschen tun. Und er schien sogar einen gewissen Instinkt für die richtige Perspektive zu haben. Ich drückte vorsichtig meinen Kopf gegen seine Hand.
»Wir werden gut miteinander auskommen, Mirza. Jetzt schau dich ein wenig in diesem Raum um. Ich bin mir sicher, du findest ein paar interessante Mauselöcher hinter den Regalen.«
Er ließ mich allein, und – nun ja, die Neugier siegte mal wieder. Ich nahm mein neues Heim gründlich in Augenschein.
Zwei fette Mäuse fielen mir ganz nebenbei zum Opfer.
Dann hockte ich mich ans Fenster. Erst hatte ich ja gedacht, es sei offen, denn man konnte so einfach hindurchschauen. Doch ich stieß mir meine Nase an dem kalten, harten, durchsichtigen Zeug, mit dem sie es verschlossen hatten. Sehnsüchtig also starrte ich hinaus über die grünen Weiden, die Apfelbäume, die Hecken bis hin zu den Stoppelfeldern. Würde ich nie wieder meine Pfoten auf federndem Gras spüren, nie wieder den weichen Waldboden aufscharren, nie wieder die Krallen an dem borkigen Stamm eines Baumes wetzen?
Auch an die Moen dachte ich mit Wehmut. Sie war,obwohl nur eine Menschenfrau, mir doch so etwas Ähnliches wie eine Mutter. Ich erinnerte mich nur noch dunkel an meine leibliche Mutter, die mich genährt und mir die ersten Schritte beigebracht hatte, mir dann aber, als ich einigermaßen gut zurecht kam, doch anempfahl, mir meine eigenen Mäuse zu fangen. Irgendwo in den Ställen hätte ich schon eine Möglichkeit gefunden, aber es war die Moen, die mich in ihre Schürze packte, mir mit ein paar leisen Gurrlauten zu verstehen gab, dass ich ihr vertrauen dürfe, und mich in ihre Hütte mitnahm. Ihre Finger, die mich kraulten und kratzten, waren fast so angenehm wie Mutters Zunge, ihre Spiele beinahe so interessant wie die mit anderen Katzen, und vor allem gab sie mir, auch nachdem ich schon selbst mausen konnte, noch immer von ihrer Beute ab.
Nun war sie tot, und ich hatte Heim, Zuwendung und Freiheit verloren.
Trübsinnig starrte ich nach draußen.
»Hier, schau her, Mirza! Meiko hat für dich eine Kiste mit Sand zurecht gemacht. Und ich habe für dich das hier mitgebracht.«
Die Stimme holte mich wieder in die Gegenwart zurück und machte mich auf das nahe Liegende aufmerksam. Einen Augenblick lang war ich mit mir selbst nicht ganz einig darüber, welchem Bedürfnis ich zuerst nachgeben sollte. Ich verspürte beides – Hunger und den Drang, mich zu erleichtern. Unschlüssig zuckte mein Schwanz.
Ich entschied mich zuerst für die Kiste und dann für die Schüssel mit Milch.
Pater Melvinius lachte.
»Meiko ist ein kluger Kerl, was? Für einen Gärtnerburschen schon fast zu klug. Man sollte meinen, die Bücher hier lägen ihm mehr am Herzen als seine Gemüsepflanzen, die Apfelbäume und die Kräuter. Aber er ist ja erst eine Woche hier bei uns im Kloster, und man soll nicht vorschnell urteilen.«
Meiko, mein Entführer, ein Gärtnerbursche? Der Mann gab mir, genau wie dem Pater, ein Rätsel auf. Sicher, er trug einfache Kleidung und hatte Lehm an den Füßen. Seine Hände waren rau und sein Körper stark. Aber ich war mir ganz sicher, dass ich ihn zuvor schon einmal gesehen hatte. Es lag irgendwie an seinen Bewegungen oder in seiner Haltung, dass er mir bekannt vorkam. Sie glichen nicht denen eines Bauern oder Tagelöhners, eines Gärtners oder Fuhrmanns. In einer mondhellen Nacht, einige Tage zuvor, meinte ich, ihn schon einmal getroffen zu haben. Ich hatte auf der Brunnenmauer gesessen, und das Licht des Mondes war auf ihn gefallen, als er ganz in meiner Nähe um sich schaute. Da hatte er jedoch auf einem edlen Pferd gesessen, und seine Kleidung war alles andere als bäuerlich gewesen. Außerdem hatte er einen zweiten, sehr jungen Mann bei sich, der ebenfalls ein
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