Die Lautenspielerin - Roman
diese Rebe noch war.« Hippolyt hatte sein Pferd aufschließen lassen und sah seinen Freund prüfend an.
»Was ist das, ein Gedicht über den Wein?«, fragte Gerwin.
»Wart’s ab. Hier die letzte Zeile: Halte sich jeder darum hinfort eine solche Gefährtin, die auch im Tode ihm noch Liebe mit Liebe vergilt .« Der Wundarzt blinzelte in die Nachmittagssonne. Sein Gesicht hatte eine gesunde Farbe angenommen, und er schien kraftvoller als zu Helwigsdorffer Zeiten.
»Warum zitierst du nicht auf Latein?«
»Weil es von einem Griechen stammt - Antipatros von Thessalonike.«
»Empfiehlst du mir eine Platane als Gefährtin? Gar kein übler Einfall, wenn man es recht bedenkt«, witzelte Gerwin.
»Im Hinblick auf die Liebe kann ich nichts empfehlen, doch sage ich zumindest, dass eine Gefährtin nicht gleichbedeutend mit einer Ehefrau sein muss. Angesichts der Weinberge erinnerte ich mich an diese Verse. Entlang der Mosel gibt es noch reichere
Hänge, und die Trauben dort geben würzige Weine. In Frankreich erwartet uns der Krieg mit all seinen Gräueln, aber die Weine der verschiedenen Regionen lassen einen über vieles hinwegsehen. Wir werden sie auf unserer Reise durch jenes herrliche Land kosten.« Hippolyt wandte sich nach hinten. »Gero! Sollen wir noch eine Rast vor dem Abend halten?«
Seit dem frühen Morgen waren sie trotz der Verletzten mit nur einer Rast in Frankfurt stramm geritten. Der Kaufmann hatte darauf bestanden, die Reise fortzusetzen, er wolle den elendigen deutschen Landstrich so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Gero ritt an ihrer Seite. Obwohl die Rippenbrüche noch nicht verheilt waren, zog er das Reiten dem rüttelnden Wagen vor. Da die Achsen nicht gefedert waren, übertrug sich jede Unebenheit des Weges auf die gebeutelten Knochen der Insassen.
»Ich habe mit Amrit, dem erfahrensten Knecht des Kaufmanns, gesprochen. Wir rasten hinter der nächsten Biegung. Die Pferde brauchen eine Pause und müssen Wasser saufen. Danach sind es noch zweieinhalb Stunden, bis der Main auf den Rhein trifft. Dort gibt es eine große Herberge, in der wir nächtigen werden, und morgen queren wir dann den Fluss.«
So hielten sie es, und allen war die Erleichterung über einen Tag ohne Vorkommnisse anzumerken, abgesehen von den Zollund Grenzstationen der jeweiligen Landesherren. Gerwin war es langsam leid, stets über die Konfession des jeweiligen Gebiets nachdenken zu müssen. Er ahnte, dass Hippolyt recht hatte, der davon überzeugt war, dass die Mehrzahl der Fürsten sich für das Luthertum entschieden hatte, weil ihnen dadurch die Besitztümer der Kirchen zugefallen waren. Zudem wurde das landesherrliche Kirchenregiment gerechtfertigt durch Luthers Berufung auf den Apostel Paulus: »Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott, wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.« Die Fürsten konnten also behaupten, der weltlichen Macht stehe die Aufgabe zu, die christliche Gemeinschaft gegen das Böse zu schützen.
»Was grübelst du, Gerwin?«, fragte Hippolyt.
»Ach, die Grenzstationen, dieses Gerede über die Konfession. Ich weiß zwar, dass es durch den Augsburger Religionsfrieden ruhiger geworden ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das von Dauer ist. Die Leute sind so überzeugt von ihrer Sache, dass sie keinen Raum lassen für anderes Gedankengut.«
Der Wundarzt nickte. »Meines Erachtens ist es ein großer Fehler bei der Verfassung des Augsburger Friedens gewesen, nur die lutherischen und die katholischen Stände anzuerkennen. Es sind doch nicht die Lutheraner, die sich weigern, die Obrigkeit anzuerkennen - nein, das sind die Calvinisten. Nur Calvin verlangt von seinen Anhängern den aktiven Widerstand, wenn ihre Religion unterdrückt wird. Das ist entscheidend. Das ist ja auch der Grund für den Krieg in Frankreich. Nun, wir werden es früh genug selbst erleben. Dort kämpft Bruder gegen Cousin, Vater gegen Sohn - grauenvoll! Und vermeidbar! Das macht mich so wütend! Toleranz, mein Freund, Toleranz ist das Zauberwort, doch scheint es seine Magie verloren zu haben …« Er zügelte sein Pferd.
Gerwin warf ihm einen skeptischen Seitenblick zu. »Toleranz - das klingt gut, aber doch sehr vage.«
»Es gibt Fürsten, die in der Lage wären, diesen Kontinent zu befrieden, aber sie herrschen eben nicht allein. Nun, das erkläre ich dir ein anderes Mal. Mein Magen knurrt, sieh, dort vorn!« Die Blicke der Männer fielen auf den ersehnten Rastplatz für diese Nacht.
Die Herberge »Zur
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