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Die Lautenspielerin - Roman

Die Lautenspielerin - Roman

Titel: Die Lautenspielerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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er sich ein Stück Käse in den Mund und spülte ihn mit einem Schluck Bier hinunter. Als Gerwin den schweren Deckel nach hinten klappte, stieg ihm der Geruch von altem Papier und Leder entgegen. Ehrfürchtig strich er über die Einbände der Folianten, in deren lederne Deckel die Titel mit goldenen Lettern geprägt waren. Er konnte nicht widerstehen und nahm Michel Servets »Christianismi Restitutio« heraus. Hippolyt hatte mit ihm ein Kapitel aus dem medizinischen Lehrwerk gelesen, denn Servet, der von Calvin seiner religiösen Überzeugung wegen in Genf auf den Scheiterhaufen gebracht worden war, gehörte zu den mutigsten Denkern der neuen Medizin. Der menschliche Körper barg so viele Geheimnisse, und wie sollte man Krankheiten kurieren,
wenn man nicht einmal genau wusste, wie der Organismus funktionierte? Doch für diese Überlegungen war jetzt keine Zeit.
    Gerwin legte das Buch zurück und nahm die schwarze Kutte heraus. Zu diesem mönchischen Kleidungsstück hatte er einige Fragen an Hippolyt, ebenso zu seinem aristokratischen Freund, den er ganz nebenbei erwähnt hatte. Der Geldsack war aus dickem Leder und wog schwer. Neugierig öffnete Gerwin die Börse und starrte mit offenem Mund auf die goldenen Taler verschiedener Prägung. Hippolyt war reich! Der Wundarzt war wohlhabend und lebte in diesem finsteren Nest, in dem es freudloser war als in einer Kloake. Kopfschüttelnd verstaute Gerwin die Börse in dem großen Sack aus gewachstem Tuch, legte die wertvollen Arzneien und Kräuter dazu und verschloss die Truhe wieder.
    Sorgfältig verriegelte er auch die Haustür, kontrollierte die Fensterläden und band den Sack auf dem wartenden Pferd fest. Gewiss vermutete niemand eine solche Menge Geld in dem ärmlichen Haus des Arztes, doch Gerwin saß nun mit gemischten Gefühlen auf und wünschte sich, er besäße einen Degen oder eine Pistole, um sich notfalls verteidigen zu können. Er lenkte den Braunen durch die Fichten zur Straße hinunter, als es hinter ihm im Wald knackte.
    »Heda!«, rief Gerwin und beobachtete die dicht stehenden Nadelbäume.
    Die Zweige bewegten sich, und eine weibliche Gestalt trat heraus. Aus der Kapuze des samtenen Umhangs blitzten ihn braune Augen an. »Was schreit Ihr so? Tu’ ich etwas Verbotenes? Darf man in diesem verfluchten Land nicht einmal ungestört Tannäpfel sammeln?«
    Gerwin lachte, dass sein Pferd zu tänzeln begann.
    »Und was lacht Ihr jetzt? Das ist allerhand!« Wütend rauschte Jeanne an ihm vorbei, doch er folgte ihr.
    »Es tut mir leid. Eure Aussprache! Und es sind Fichtenzapfen, keine Äpfel.«

    »Ah, was macht das schon. Was ist mit meiner Aussprache? Ich spreche doch Eure Sprache, die so klingt, als müsse man ständig husten!« Jeanne ahmte die harten Laute des Deutschen nach.
    »Ich finde Euren Akzent sehr hübsch. Mein Name ist Gerwin Pindus. Woher kommt Ihr?« Er wollte die Gelegenheit nutzen, möglicherweise sah er sie nie wieder.
    Obwohl es sich nicht ziemte, mit Fremden zu sprechen, blieb Jeanne stehen und betrachtete den Gehilfen des Medicus, der auf dem Pferd eine gute Figur machte. »Pindus? Wie der betrunkene Karrenführer?«
    Sie bereute ihre Worte sofort, als sich Gerwins Miene verdunkelte. Er hatte sie nur geneckt, und sie hatte seinen Stolz verletzt.
    »Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen, nicht wahr?« Was musste sie von ihm denken? Wahrscheinlich hielt sie ihn für einen Taugenichts, der einen Säufer zum Vater und eine Hure zur Mutter hatte. Und er konnte es ihr nicht einmal verdenken, denn die Froehners dachten gewiss wie alle im Dorf nur schlecht über seine Familie.
    Jeanne wechselte den Reisigkorb von einer Hand in die andere. »Ich bin Jeanne Fry. Wir kommen aus Frankreich, aus dem Languedoc. Mein Vater ist Lautenbauer, und ich spiele Laute«, sagte sie versöhnlich und etwas dümmlich, wie sie fand, doch sein Blick verunsicherte sie.
    Gerwin lächelte. »Es freut mich sehr, Jeanne Fry. Darf ich Euch den Korb abnehmen?«
    »Aber es ist gleich dort vorn.« Jeanne zeigte auf das Haus von Thomas Froehner.
    »Bitte, es ist mir eine Ehre.« Er sprang von seinem Pferd, nahm ihr den Korb ab und ging auf der Dorfstraße neben ihr her. Die Pferdehufe klapperten in der klaren Winterluft. Aus den Augenwinkeln sah er, wie zwei Frauen, die mit ihren Kindern über den Platz gingen, tuschelnd die Köpfe zusammensteckten.
    »Was arbeitet Ihr, Gerwin? Ihr seid kein Karrenführer.« Zwar
erinnerte sie sich daran, was Gerwins Vater gesagt hatte, doch

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