Die Lautenspielerin - Roman
säuerlich. Endlich kehrte die Distanziertheit zurück, die sie während des gesamten Tages verspürt hatte, und sie fühlte sich als Betrachterin der Szene, was es ihr ermöglichte, ihre Muskeln zu lösen. Als er auf ihr lag und seine Finger sie zwischen den Schenkeln betasteten, zuckte sie kurz zusammen.
»Nicht bewegen. Bleibt möglichst ruhig liegen.« Kaum hatte er das gesagt, nahm er seine kühlen Finger fort, und sie hatte schon gehofft, dass es damit geschehen sei, doch jetzt folgte der schmerzhafte Teil, bei welchem er sein gesamtes Gewicht auf sie presste und sich so lange in ihr bewegte, bis er mit lautem Stöhnen auf sie niedersank. Jeanne wartete, doch er bewegte sich nicht mehr, und schließlich bedeutete ihr sein Schnarchen, dass er eingeschlafen war.
Wütend schubste sie ihn zur Seite, wo er sich umdrehte und befriedigt weiterschlief. Jeanne stand auf und ging zur Waschschüssel, um sich zu reinigen. Der Mond war voll und warf sein silbriges Licht durch das verglaste Fenster. Sie lehnte sich an den Tisch und sah zum Bett hinüber. Auf dem hellen Laken entdeckte sie einen kleinen Fleck. Sie wusste, was das bedeutete. Obwohl sie es sich nicht ersehnte, bestand die Möglichkeit, dass sie bald guter Hoffnung war. Neben dem Stuhl mit ihren Kleidern lehnte ihre Laute an der Wand. Sie hob das Instrument auf und berührte die Saiten. Kaum hörbar schwangen sich die Töne, zart wie Gänseflaum, hinauf in die Nacht, um nach einem Moment des Verweilens wieder hinabzusinken. Der Lautenkorpus schmiegte sich vertraut an ihren Körper. Was auch immer das Schicksal für sie bereithielt, die Musik konnte ihr niemand nehmen.
16
Mit erschöpften Pferden erreichten die Männer am vierten Tag ihrer Reise Erfurt. Bei Tag waren die Straßen belebt. Besonders auf der Via Regia, der Hauptroute von Osten nach Westen, waren zahlreiche Fuhrwerke und Lasttiere unterwegs.
Unweit des Stadttors brachten sie die Tiere zum Stehen. Einer der Knechte, ein kräftiger Bursche mit ehrlichen Zügen namens Gero, leitete die kleine Gruppe und ihr kostbares Gut. Hinter einer Baumgruppe, außerhalb des Blickfelds der Wachen, hieß Gero die Männer absitzen und die Köpfe zusammenstecken. »Mein Herr hat mich mit Instruktionen versehen. Für den Fall, dass die Wache unser Gepäck durchsehen will, habe ich ein ausreichendes Bestechungsgeld bei mir. Wenn das entgegen unserer Erfahrung keinen Erfolg hat, müssen wir in eines der Gasthäuser hier in der Nähe gehen und den jüdischen Goldschmied herausbitten. Aber das wäre die schlechteste Lösung.«
Die Dämmerung senkte sich bereits herab. Es wurde Zeit, sich in ein sicheres Quartier zu begeben. Selbst ohne wertvolle Fracht waren Reisende nach Einbruch der Dunkelheit nahezu schutzlos jedem Strauchdieb ausgeliefert. »Wir folgen dir, übernimm das Wort«, sagte Hippolyt, und die anderen nickten zustimmend.
Sie führten die Pferde am Zügel hinter sich her und reihten sich in die Schlange der Wartenden vor dem düster aufragenden Tor ein. Vor ihnen stand ein Hudler, erkenntlich an einem kleinen Karren voller dreckiger Lumpen, der von zwei Hunden gezogen wurde. Niemand wollte dem verschmutzten Mann in der abgerissenen Kleidung zu nahe kommen, denn seine Fracht und er selbst stanken zum Himmel.
Der Hudler bemerkte, dass sie Abstand nahmen, drehte sich um und entblößte beim Grinsen einen zahnlosen Mund. »Papier wollen alle haben, aber Lumpen sammeln will keiner …«
Gerwin kannte die armen Gesellen, die von Dorf zu Dorf zogen, um Lumpen für die Papiermühlen zu sammeln. Besonders glücklich waren sie, wenn sie in den Haufen verschmutzter Lumpen, die in einigen Haushalten gesammelt wurden, feineres Tuch wie Batist oder Nesseltuch fanden, das zur Herstellung von Postpapier taugte. Aus derben Bauernhemden und Leinenlumpen machte man Konzeptpapier, und die groben Leinenhadern reichten für Makulatur- und Packpapier. Der Hudler hustete und spuckte dunkles Sekret auf den Boden.
Von Hippolyt wusste Gerwin, dass die Hudler vom Lumpenstaub, der voller Krankheiten und Ungeziefer war, Milzbrand, Blattern, Krätze und Rotlauf bekamen. Als der Hudler deshalb bettelnd die Hand aufhielt, zuckte Gerwin zurück. Gero hatte den aufdringlichen Hudler ebenfalls beobachtet und hielt ihn mit seinem Schwert auf Abstand.
»Sieh dich vor, Mann.« Doch er warf ihm einige Groschen vor die Füße, welche der Hudler eilig aufsammelte.
Die Stadtwächter waren so damit beschäftigt, den Hudler auf seine
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