Die Lazarus-Formel
zog den bewusstlosen Wachmann hindurch auf die andere Seite.
Er schleifte ihn über den polierten Marmorboden des Gangs, der sich hinter der Tür erstreckte, bis hin zu einer anderen Tür, von der er wusste, dass sie in den Weinkeller führte. Er legte den Bewusstlosen so ab, dass er mit dem Oberkörper an der Wand lehnte, und holte das Schlosser-Etui hervor. Den schlanken Spanner schob er in den Kern des Zylinders, und mit dem Haken drückte er nach und nach die einzelnen Stifte nach unten. Als auch der letzte unten war, drehte er den Spanner, und das Schloss sprang auf.
Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, dass ihn niemand beobachtete, schob er die Tür nach innen auf, zog den bewusstlosen Wächter hinein und schloss sie wieder. Erst dann schaltete er das Licht an.
Die gewölbte Decke der nach unten in den Weinkeller führenden Sandsteintreppe war niedrig und rauchgeschwärzt. Ben musste sich tief bücken, um nicht mit dem Kopf anzustoßen, während er den Wachmann nach unten schleppte. Unten angekommen legte er ihn in eine Ecke, die man von oben nicht einsehen konnte. Dann eilte er weiter in den Weinkeller.
Im ersten von drei hintereinander befindlichen Gewölben lagen in Stahlregalen die »normalen« Weine für Veranstaltungen der Galleria . Allesamt ausgesuchte Jahrgänge, aber keiner älter als acht oder neun Jahre. Im zweiten, zu dem Ben das Schloss einer weiteren Tür knacken musste, waren die Weine für den Orden gelagert, um einiges erlesener und älter. Die wahren Schätze aber – Weine, die teilweise sogar über einhundert Jahre alt waren – lagerten im dritten Gewölbe, in Nischen aus Stein. Die Tür dorthin war dreifach gesichert, und Ben brauchte fast eine Minute, bis er sie geöffnet hatte.
Von dort aus gelangte man in die Katakomben, wo der Orden, wie Ben von früheren heimlichen Besuchen wusste, in zwei Kammern sein Geld und sein Gold aufbewahrte und weiter unten sein ganz privates Gefängnis unterhielt. Ein Gefängnis, von dem die Welt nichts wusste – und aus dem nie jemand wieder lebend herausgekommen war. Ben war sich sicher, dass er Eve dort finden würde.
Er ging zu einer der Nischen und zog vier der Flaschen in einer bestimmten Reihenfolge zur Hälfte heraus. Es knirschte im Gestein, und ein Teil der Wand schob sich wie von Geisterhand nach hinten.
Ben trat durch den Spalt.
58
In die Enge getrieben wird jeder Mensch zum Tier und entwickelt Kräfte, die er sich bis dahin nicht einmal entfernt vorstellen konnte. Trotz ihrer Schmerzen wand sich Eve wie eine Katze und versuchte zu kratzen, zu treten und zu beißen. Sie schlug sogar mit der Stirn nach ihren Peinigern.
Doch Diakon Wall und sein Folterknecht waren auf diese Wildheit vorbereitet. Sie waren sie gewohnt. Eve war nicht ihr erstes Opfer, bei weitem nicht. Mit brutaler Unbarmherzigkeit hielten sie sie gepackt und begannen damit, sie an das Kreuz zu fesseln, das Symbol ihres Glaubens, dieses Mal mit dem Rücken zum Holz.
»Lasst sie in Ruhe, ihr Teufel!«, schrie Margaret in ihrer Zelle und rüttelte mit aller Macht an dem Gitter. »Sie weiß nichts und kann euch nichts sagen!«
Die beiden Männer beachteten die Unsterbliche nicht und schlossen trotz Eves heftiger Gegenwehr eine Schelle nach der anderen um ihre Hand- und Fußgelenke.
Der Knecht leerte die glühende Kohle aus dem Korb in einen etwa anderthalb Meter hohen Dreifuß und legte dann die Ledertasche auf eine Holzbank. Er öffnete sie und holte daraus drei etwa ellenlange Eisenstangen hervor. Noch ehe er sie mit der Spitze voran in die Kohle legte und diese mit einem dünnen Holzbrett anfächerte, erkannte Eve, was sie waren – Brandeisen!
Der Einhändige stellte sich vor sie und hielt seinen Armstumpf in die Höhe. Mit der Linken zog er das schwarze Futteral ab, und Eves Herz schien für einen Moment auszusetzen, als sie die glänzende Harpunenspitze aus Edelstahl sah.
Diakon Wall grinste. »Du wirst uns sagen, wo er ist. Früher oder später wirst du es uns sagen. Oder er wird kommen, um dich zu retten, und dann werde ich mich bei ihm bedanken – für das hier!« Er schaute seinen Stumpf an, und das Grinsen wich einem finsteren Ernst.
Er führte die Spitze der Harpune zu Eves Kinn und drückte sie nach oben. Sie machte den Hals lang, um den spitzen Schmerz abzumildern, und er kicherte dunkel.
»Du verstehst es langsam«, flüsterte er. »Es gibt Mächte, mit denen legt man sich besser nicht an.«
Eve war sich sicher, dass er damit nicht Gott
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