Die Lazarus-Formel
noch nahezu menschenleeren Fußgängerzone, und sie und Margaret stiegen aus.
Margaret sah sich erstaunt um. »Die haben renoviert.«
Eve betrachtete verwundert die mittelalterlichen Gebäude und wurde wieder einmal daran erinnert, wie alt die jugendlich aussehende Frau an ihrer Seite doch war. Ihr letzter Besuch lag offenbar schon sehr lange zurück.
Die erst vor gut einer Stunde aufgegangene Sonne tauchte die prunkvollen Sandsteingebäude in ein rötlich warmes Licht.
»Sie haben noch geschlossen«, stellte Eve fest. »Das lässt uns genügend Zeit, noch irgendwo einen Kaffee zu trinken.« Den hatte sie dringend nötig. Sie deutete auf ein kleines Café am Rand der Piazza.
»Haben die da auch heiße Schokolade?«, fragte Margaret mit einem kleinen gierigen Blitzen in den Augen.
»Bestimmt.«
»Und Eis?«
Eve lachte. »Mit Sicherheit.«
Sie gingen hinüber und nahmen in den bequemen Korbsesseln auf der Terrasse Platz.
Die Bedienung erkundigte sich nach ihren Wünschen, Eve bestellte einen Kaffee und Tramezzini mit Parmaschinken und Margaret ein Kännchen heiße Schokolade und einen gigantischen Eisbecher mit Früchten. Als ihre Bestellung gebracht wurde, funkelten die Augen der kleinen Königin voller Begeisterung.
Eve fiel auf, wie groß der Unterschied zwischen Margarets begeisterter Lebensfreude auf der einen Seite und Bens düsterer Ernsthaftigkeit auf der anderen war. Immerhin hatte Margaret gerade über anderthalb Jahrhunderte in Gefangenschaft verbracht, war in der Dunkelheit gehalten worden wie ein Tier und zahllose Male gefoltert. Was mochte Ben alles widerfahren sein, dass er so war, wie er war?
Eve schob den Gedanken beiseite. Es war ja nicht so, dass sie kein Interesse an seiner Vergangenheit gezeigt hätte – er war derjenige, der sich ihr gegenüber verschloss. Sie ärgerte sich über ihn, als sie sich daran erinnerte, wie er immer wieder von ihr verlangt hatte, ihr einfach zu vertrauen. Dabei war es doch genau genommen er, der ihr Vertrauen immer wieder erschüttert hatte, indem er all ihre Fragen immer und ständig zurückwies und ein derart großes Geheimnis aus seiner Person machte.
»Du vermisst ihn, nicht wahr?«, fragte Margaret an einer Bananenscheibe mit Schlagsahne vorbei.
Eve schnaubte unwirsch durch die Nase und biss in ihr Sandwich, um nicht antworten zu müssen. Sie kaute das weiche Weißbrot und den Schinken schnell und energisch und schluckte es zusammen mit ihrem Ärger hinunter. Natürlich hätte die Antwort Ja gelautet, aber sie würde sich lieber auf die Zunge beißen, als das laut zuzugeben.
»Der Mann, den wir besuchen«, fragte sie dann, »ist er auch kein Aesirianer?«
»Doch, er ist einer von ihnen«, antwortete Margaret, und Eve hätte sich beinahe an ihrem zweiten Bissen verschluckt. »Aber er ist mir sehr verpflichtet.«
»Wieso?«
»Ich habe ihm damals das Geld zur Verfügung gestellt, die Bank überhaupt erst zu gründen.«
Eves Augen wurden groß, und Margarets Mundwinkel verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen.
»Hach, das war so aufregend«, sagte sie. »Es war so um 1410 herum. Ich war seit über zwanzig Jahren Königin von Dänemark, Norwegen und Schweden, und die Leute begannen allmählich zu reden, weil ich immer noch so jung aussah. Siehst du, das ist einer der Nachteile der Unsterblichkeit inmitten Sterblicher: Man kann nie lange Königin bleiben, ohne dass das Volk irgendwann anfängt, hinter vorgehaltener Hand von schwarzer Magie und Hexerei zu tuscheln.
Auf jeden Fall hatte ich alles erreicht, was ich erreichen wollte: Ich hatte die drei Länder zu einer Union vereint, die Ostsee von ruchlosen Piraten gesäubert und meinen Adoptivsohn und Nachfolger mit der englischen Königsfamilie verheiratet, ohne mein Volk und mich in deren Hundertjährigen Krieg ziehen zu lassen.« Sie seufzte. »Ich war richtig gut als Königin, Eve. Aber wie so oft zuvor war die Zeit gekommen, einmal mehr in der Versenkung zu verschwinden und neu anzufangen. Ich hatte da ein ziemlich gutes System entwickelt. Ich tauchte immer wieder als meine eigene Tochter, Enkelin, Nichte oder Großnichte auf. Das ist nicht besonders schwer, wenn man rechtzeitig die nötigen Arrangements trifft und sich selbst früh genug die erforderlichen Papiere ausstellt.
Dieses Mal hatte ich als Königin von Dänemark mich selbst als meine eigene Nichte mit Alfonso, dem Thronfolger von Aragon, verlobt. Der Plan war, mich als Königin auf eine Schiffsreise nach Flensburg zu begeben, dort
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