Die Lazarus-Vendetta
Geringes Risiko oder nicht – die Einstellung des leitenden Wissenschaftlers von Harcourt Biosciences schien ihm doch ein wenig zu lax und sorglos. Wahre Wissenschaft war die Kunst, mit äußerster Sorgfalt an ein Problem heranzugehen.
Seriöse Wissenschaft zu betreiben bedeutete, auf keinen Fall potenzielle Sicherheitsrisiken, wie minimal auch immer, zu ignorieren.
Brinker entging der Ausdruck auf Smiths Gesicht nicht, und er lachte auf. »Keine Panik, Jon. Ich bin nicht verrückt. Nun ja, nicht völlig zumindest. Wir halten unsere Nanophagen an einer verdammt kurzen Leine. Sie sind fest und sicher eingeschlossen. Außerdem habe ich Ravi hier, der aufpasst, dass ich nicht vom Pfad der wissenschaftlichen Rechtschaffenheit abirre. Okay?«
Smith nickte. »Ich hab mich nur gewundert, Phil. Kreiden Sie es meiner misstrauischen Schnüfflernatur an.«
Brinker bedachte ihn mit einem schiefen Grinsen. Dann richtete er den Blick auf die Techniker, die an verschiedenen Computerkonsolen und Monitoren standen. »Sind alle bereit?«
Einer nach dem anderen streckten die Männer ihre Daumen hoch.
»Gut«, sagte Brinker. Seine Augen funkelten aufgeregt.
»Mark-Two-Nanophagen. Experiment am lebenden Objekt, Versuch numero uno. Auf mein Zeichen – drei, zwei, eins – jetzt!«
Der Metallkanister zischte.
»Nanophagen freigesetzt«, sagte einer der Techniker, ohne die Pegelstandwerte des Kanisters auf dem Bildschirm aus den Augen zu lassen.
Mehrere Minuten lang schien sich nichts zu tun. Die gesunden Mäuse huschten scheinbar ziellos in dem Glasbehälter umher. Die kranken Mäuse verharrten reglos.
»ATP-Energiezyklus beendet, Nanophagen-Lebenszyklus beendet. Versuch am lebenden Objekt abgeschlossen.«
Brinker ließ die Luft aus seinen Lungen entweichen. Er blickte mit einem triumphierenden Strahlen in den Augen zu Smith hoch. »Das war’s, Colonel. Jetzt anästhesieren wir unsere pelzigen Freunde, schneiden sie auf und sehen nach, wie viel Prozent ihrer verschiedenen Krebstumoren wir den Garaus gemacht haben. Ich wette, es sind an die hundert Prozent.«
Ravi Parikh beobachtete nach wie vor die Mäuse. Er runzelte besorgt die Stirn. »Ich glaube, wir haben einen Fehlläufer, Phil«, sagte er leise. »Sehen Sie sich das Versuchsobjekt Nummer fünf an.«
Smith beugte sich näher an den Monitor, um mehr erkennen zu können. Maus Nummer fünf war eines der gesunden Tiere der Kontrollgruppe. Sie bewegte sich auffallend hektisch und ziellos, stieß wiederholt taumelnd mit ihren Artgenossen zusammen, wobei sich ihre Schnauze schnell öffnete und schloss. Plötzlich fiel sie auf die Seite, krümmte sich ein paar Sekunden lang unter offensichtlichen Schmerzen und lag dann still.
»Verdammt«, brummte Brinker und starrte fassungslos auf die tote Maus. »Das hätte, verdammt noch mal, nicht passieren sollen.«
Jon Smith runzelte düster die Stirn und entschloss sich, die Isolierungs- und Sicherheitsmaßnahmen von Harcourt Biosciences noch einmal zu überprüfen. Sie waren hoffentlich so gewissenhaft, wie Parikh und Brinker behaupteten, um zu gewährleisten, dass das, was eine vollkommen gesunde Maus getötet hatte, sicher und versiegelt in diesem Labor eingeschlossen blieb.
Es war fast Mitternacht. Eine Meile weiter nördlich warfen die Lichter von Santa Fe einen warmen, gelben Widerschein in den klaren, kalten Nachthimmel. Unmittelbar vor ihnen schimmerten hinter
herabgezogenen Jalousien die Fenster im oberen Stockwerk des Teller Instituts. Die auf dem Dach montierten Bogenlichtlampen warfen lange, schwarze Schatten über das Institutsgelände. Die Kiefern- und Lärchenwäldchen entlang des Zauns an der Nordseite lagen in vollkommene Dunkelheit gehüllt.
Paolo Ponti kroch durch das hohe Gras näher an den Zaun heran. Er schmiegte sich dicht an die Erde und achtete darauf, im Schatten zu bleiben, wo ihn sein schwarzes T-Shirt und seine dunklen Jeans fast unsichtbar machten. Der junge Italiener war vierundzwanzig, schlank und kräftig. Vor einem halben Jahr hatte er sich, seines Daseins als ein von der Sozialhilfe lebender Teilzeitstudent an der Universität müde, der Lazarus-Bewegung angeschlossen.
Die Bewegung gab seinem Leben einen Sinn und ihm das Gefühl, dass er etwas von Bedeutung tat, und darüber hinaus hatte sie mehr Aufregung und Abenteuer zu bieten, als er sich je hatte vorstellen können. Zuerst waren ihm die verschiedenen geheimen Eide, die er darauf geschworen hatte, die Mutter Erde zu schützen und ihre Feinde zu
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