Die lebenden Puppen des Gerald Pole
Als wir kamen, wurde sie geschlossen. Eine Frau mit langen grauen Haaren zog ein Rollo davor.
Es war gut, dass wir sie gesehen hatten. Jetzt wussten wir auch, an wen wir uns wenden konnten.
Ich nickte ihr freundlich zu und sprach sie mit einem neutralen: »Hallo!« an.
Sie war in der Bewegung. Jetzt blieb sie stehen und zuckte leicht zusammen.
»Bitte?«
Ich räusperte mich kurz. Glenda war schneller. »Wir brauchen eigentlich noch vier Karten, weil unsere beiden Freunde auch mitgekommen sind. Ist das möglich?«
Die Grauhaarige sagte erst mal nichts. Sie schaute uns an, und wir sahen in ihre Augen.
Sie gefielen mir nicht. Das war kein klarer Blick. Das war ein sehr ängstlicher, beinahe schon ein warnender. Zudem schüttelte sie den Kopf.
»Nichts mehr?«, fragte Glenda.
»Jeder Stuhl ist besetzt.«
»Wir müssen nicht sitzen«, sagte ich.
»Aha.« Der Blick der Frau änderte sich. »Okay, wenn Sie wollen. Stehplätze sind noch frei. Sie müssen sich dann in den Hintergrund stellen, das heißt hinter die Stühle.«
»Versteht sich. Und wie müssen wir zahlen?«
»Gar nicht. Ich habe die Kasse schon geschlossen. Sie haben freien Eintritt.«
»Das ist sehr großzügig.«
»Vergessen Sie es.«
Die Frau wollte sich abwenden, was Glenda nicht zuließ. Sie hielt sie am Arm fest.
»Bitte …«
»Was ist denn noch?«
»Nur für einen Moment.«
Die Grauhaarige nickte, wich unseren Blicken allerdings aus und hörte sich Glendas Frage an.
»Wie wird die Show ablaufen? Können Sie uns da vielleicht etwas sagen?«
»Kennen Sie nicht den Titel?«
»Doch«, sagte ich. »Böse Zeiten.«
»Genau die, Mister. Dann sollten Sie sich mal auf böse Zeiten einstellen, wie auch immer.«
»Wie meinen Sie das denn?«
»Das werden Sie schon noch erleben. Stellen Sie sich darauf ein, das Unglaubliche als Realität präsentiert zu bekommen. Dann liegen Sie genau richtig.«
»Können Sie keine Einzelheiten sagen?«
»Kann und will ich nicht.« Die Frau wollte auch nicht länger mit uns sprechen. Sie drehte sich um und verließ das Foyer durch eine Seitentür.
Der Theaterraum war einsehbar. Die Stühle standen dort in Reih und Glied. Es gab auch so etwas wie eine Bühne, aber sie war nicht einsehbar. Ein schwerer schwarzer Vorhang nahm uns den Blick.
Der Klang einer Stimme schwebte plötzlich über unseren Köpfen. Die sonore Stimme eines Mannes sprach uns als liebe Gäste an und bat uns, doch unsere Plätze einzunehmen.
»Und wo sollen wir hin?«, fragte Glenda.
»Wir stellen uns an die rechte Seite.«
»Und wir nehmen die linke.« Hinter uns hörte ich Sukos Stimme, die sehr leise gesprochen hatte. Eigentlich sollte niemand wissen, dass wir zusammengehörten.
Ich drehte mich um. Suko stand dort und lächelte mich an. Shao war ebenfalls da. Ein Blick in ihr Gesicht reichte aus, um zu erkennen, dass ihr der Einsatz nicht passte.
Ich nickte. »Abgemacht.«
»Und? Habt ihr schon etwas herausfinden können?«
»Nein.«
»Man sieht auch nichts«, sagte Shao.
Da hatte sie recht. Es war nicht viel zu sehen. Nur die Stühle, der schwarze Vorhang und ein paar Lichter, deren Strahlen in verschiedene Richtungen zeigten.
Allmählich nahmen die Zuschauer ihre Plätze ein. Die Stühle wurden besetzt. Jeder konnte sich hinsetzen, wo er wollte, nur wir standen im Hintergrund.
Shao und Suko zogen sich zurück und gingen auf die andere Seite, wo sie stehen blieben und sich gegen die Wand lehnten, um es ein wenig bequemer zu haben.
Glenda stieß mich an. »He, was ist los? Welch ein Gefühl hast du? Sind wir hier falsch oder richtig?«
»Eher richtig.«
»Das ist okay.«
»Ich warte nur auf Gerald Pole und bin gespannt, wen wir da präsentiert bekommen.«
»Ich auch.«
Noch mussten wir warten. Die Show würde erst beginnen, wenn auch der letzte Zuschauer seinen Platz eingenommen hatte.
Dann ging ein Scheinwerfer an und zerschnitt die Dunkelheit. Wohl niemand hatte die Bewegung des Vorhangs mitbekommen, auch ich nicht.
Und dann sah ich ihn.
Der Strahl konzentrierte sich auf Gerald Pole, der an einem langen Tisch Platz genommen hatte …
***
Normalerweise wird geklatscht, wenn der Hauptdarsteller erscheint. In diesem Fall passierte das nicht. Er war da, er saß auf seinem Stuhl, wobei sein Kopf und der Oberkörper im Licht gebadet wurden. Jeder sah ihn. Und jeder sah auch das schwarze Haar, den ebenfalls schwarzen Bart – ja, das war’s eigentlich.
Gerald Pole war ein Mensch. Danach sah er auch aus, aber ich
Weitere Kostenlose Bücher