Die Lebenskünstlerin (German Edition)
altersgerecht ins Leben entlassen. Habe nie geklammert, sie nie gehalten. Denke ich.
Aber jetzt fühle ich mich so alleine. Das wird mir gleich wieder hart bewusst. Mein Leben ist sinnlos geworden und ich habe noch keine neue Aufgabe für mich entdeckt.
Tags darauf jammere ich in der Therapiestunde Valentina mein ganzes Elend in den schillerndsten Farben runter. Als ich sie endlich mal zu Wort kommen lasse, betont sie, wie glücklich ich sein kann, zwei so zufriedene und glückliche Menschen ins Erwachsenenleben begleitet zu haben.
Dies sei ja wohl hauptsächlich mein Verdienst gewesen. Ich könne stolz darauf sein. Zwei so offene und prachtvolle junge Männer trotz Alki-Ehe und diversen Katastrophen.
Der Jäger und die Vegetarierin
Kaum zu Hause klingelt mein Telefon. Wolfgang, ein netter Kunde von der Bäckereifiliale möchte gerne mit mir heute Abend ausgehen. Zwar kenne ich ihn nur durch die vielen Telefonate, während er seine Bestellungen durchgibt, aber ich sage sofort zu. Da muss ich wenigstes nicht über mein nun sinnloses Leben nachgrübeln.
Wir treffen uns auf dem Parkplatz an der Kinzig. Wolfgang wartet schon neben seinem Jeep auf mich. Als ich aussteige, hält er mir die Tür auf, ein Gentlemen?
Groß, kräftig steht er vor mir. Sein Schnauzbart gefällt mir nicht. Er sieht aus wie ein Förster vor diesem grünen Jeep. Trägt braune Cordhosen und ein rotkariertes Hemd. Sehr rustikal, um hier an der Kinzig feudal zu speisen. Die grünen Augen sehen mich erwartungsvoll an.
„Möchtest du erst ein wenig spazieren, bevor wir Essen gehen?“ fragt er mich höflich.
„Ja, möchte ich“, antworte ich kurz und überlege irritiert, wieso sein Schnurrbart beim Reden nur am äußeren Ende zittert.
Wenigstens habe ich die etwas bequemeren Schuhe an, wenn ich auch sonst gar nicht zu seinem Äußeren passe. Ich trage ein hinreißendes, rotes, enganliegendes Shirt mit zarten Perlmuttknöpfchen am Ausschnitt, dazu einen dunkelblauen, engen, kurzen Rock, der meine Figur herrlich zur Geltung bringt.
So gehe ich mit dem Förster spazieren. Normalerweise habe ich einen recht schnellen Schritt, aber bei diesem Naturburschen muss ich aufpassen, dass ich nicht zum Keuchen komme. Der soll ja nicht denken, ich hätte keine Kondition.
Ein gut verdienender Geschäftsmann sei er gewesen, erzählt er mir, und der Stress im Berufsalltag habe ihm irgendwann gesundheitliche Probleme bereitet. Wovon ich im Moment absolut nichts merke. Ich brumme nur gelegentlich ein zustimmendes „Hm.“ Zu einer zusammenhängenden Antwort mit mehreren Worten oder gar Sätzen bin ich bei dem Tempo, welches er fröhlich und unbedarft beibehält, nicht fähig.
„Dann habe ich alle Aktien und Geschäftsanteile verkauft, mein Haus den erwachsenen Töchtern überschrieben und mit dem restlichen Geld eine gemütliche Blockhütte hier an der Kinzig erstanden.“
Aha, der rennt diese Strecke bestimmt zwanzigmal am Tag, da er nichts anderes mehr zu tun hat. Begeisterter Angler sei er, hin und wieder würde er auch mit seinem Freund, dem Achim, jagen gehen. Na wie schön.
Ich liege also mit meinem Jägergefühl offenbar richtig.
„Isst du denn gerne Fisch oder Wildbret? Ich kann das vorzüglich zubereiten.“
Ohne meine Antwort abzuwarten, zählt er euphorisch die verschiedenen Zutaten auf, die er für seine angeblich überragenden und sagenhaften Kochkünste benötigt.
Gelegentlich brumme ich mein Hm. Es langweilt mich.
Als er dann noch anfängt mir zu erklären, wie er ein Reh ausweidet, die einzelnen Eingeweide beschreibt und welche Stücke wie zubereitet werden müssen, er könne es mir ja mal zeigen, keuche ich schnell drei bedeutsame und effektive Worte:
„Ich bin Vegetarierin.“ Er stellt seine detailreichen Schlachtschilderungen schlagartig ein.
„Nein, auch kein Fisch“ ergänze ich ungefragt die unvermeidliche Nachfrage aller Fleischesser.
Abrupt bleibt er stehen. Endlich beruhigt sich mein Atem und ich kann wieder Luft schnappen.
„Wollen wir nun zum Essen gehen“, frage ich freundlich unschuldig. Schließlich habe ich Hunger. Wenn er Interesse hat, kann er mit mir trotzdem das schicke Restaurant besuchen. Auch wenn ich Veggie bin.
Jetzt hat es ihm die Sprache verschlagen. Der sieht seine Felle oder Rehe davonschwimmen. Fleisch scheint sein Hobby zu sein und die nette Brötchenverkäuferin ist Vegetarierin. Das passt absolut nicht. Ich will aber nicht nach Hause. Auf keinen Fall will ich den ganzen
Weitere Kostenlose Bücher