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Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Titel: Die Lebenskünstlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ute R. Albrecht
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verloren“ ereifert sich Carmen und stopft sich in demonstrierter Spiegelbildfunktion ein riesiges Kuchenstück ist den rotgeschminkten Mund. Ja, sie ist genauso essgestört wie Oliver. Nur lebt er extrem abstinent und diszipliniert, während man bei Carmen jegliche Kontrolle über ihr Essverhalten vermisst.
    Meinen Einwand, dass Kontrolle immer mit Sucht zu tun hätte, nimmt sie nicht wahr. Als ich dann noch von Machtlosigkeit eingestehen anfange, werde ich wieder unterbrochen. Die Damen steigern sich regelrecht in ihre Ansammlung von Paradebeispielen hinein.
     
    Ich liebe meine Freundinnen. Aber jetzt will ich mal wieder im Mittelpunkt stehen. Das brauche ich augenblicklich.
    Mit einer harmlosen Frage nach meinen unterentwickelten Anteilen und meinem Verdrängtem versuche ich die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
    Das hätte ich besser nicht tun sollen. Von beiden Seiten höre ich nun lange erbarmungslose Beiträge darüber, dass ich mich immer stark, perfekt gestylt und durch und durch kontrolliert präsentieren würde.
    Tapfer rühre ich im Milchkaffee und hoffe auf ein baldiges Ende. Wie peinlich. Jetzt verfolgen bestimmt alle Gäste dieses Gespräch.
    Meine zaghaften Einwände werden erbarmungslos abgeschmettert. Ich bekomme zu hören, dass ich Männern gegenüber wie ein galoppierendes Wildpferd auftrete, obwohl unter meiner Fassade ein scheues wundes Rehlein stecken würde.
     
    Wie unendlich peinlich, jetzt muss auch noch die unschuldige Tierwelt für meine Diagnose herhalten. Der Vergleich mit dem Wildpferd gefällt mir weitaus besser als das blöde Reh.
    Jetzt bin ich freilich wieder im Mittelpunkt, doch das alles will ich nicht unbedingt hören. Krampfhaft möchte ich dem Gespräch eine andere Wendung geben, es gelingt nicht.
    Meinen Stärken würde ich nicht vertrauen, halten sie mir abwechselnd vor und meine Talente lebe ich nicht so aus, wie es möglich wäre.
„Aber nach Außen keine Schwäche zeigen, haha….“ Carmen klingt total boshaft.
    „Ich kenne dich nun schon seit Ewigkeiten und habe dich größtenteils durchschaut.“
    Schrecklich. Das wird ja immer peinlicher. Albern hilft im Notfall immer.
„Ist gut, hört auf“ gebiete ich meinen impulsiven Freundinnen. Dazu hebe ich dramatisch die Hände zum Himmel und betone mehrmals „Ich ergebe mich.“
    Und weil das nichts nützt, setze ich nach: „Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken. Durch meine Schuld, durch meine große Schuld. Mea culpa.“
    Dabei schlage ich mir theatralisch an die Brust.
    Das will ich nicht hören, dass ich Schwächen haben soll. Widerliche Vorstellung. Schwäche ist in meinem Kopf eine ekelhafte Behinderung, die verbannt werden muss. Schließlich kann ich alles alleine. Wo soll ich denn schwach sein, beruhige ich mich erfolglos. Scheues, wundes Rehlein, was für ein bodenloser Quatsch. Frechheit. Die blöden Weiber sind ja so gemein zu mir.
     
    Der Nachmittag mit meinen Freundinnen geht mir die ganze Nacht nicht aus dem Kopf. Klar will ich stark und unangreifbar sein. Warum wohl? Weil ich Angst vor Verletzungen habe. Geheult wird nicht. Die Arschbacken werden zusammengekniffen. Ich schaffe das schon. Brauche keine Hilfe.
    Das Pferd in mir scharrt trotzig mit den Hufen und wiehert erbost.
    Letzten Endes stelle ich fest, dass die einzige Möglichkeit, die richtigen Umstände und den richtigen Mann ins Leben zu ziehen, darin besteht, fehlende Anteile zu entwickeln, und mich echt und authentisch zu präsentieren.
    Übersetzt bedeutet dies, zu lernen, Schwäche zuzugeben und um Hilfe zu bitten.
    Zum Beispiel die ALG II-Unterstützung beantragen.
    Wenigstens Freunden gegenüber könnte ich versuchsweise meine schwache Seite hin und wieder offenbaren. Immerhin geht es ja noch ohne Hartz IV, beruhige ich mich.
    Müde schleppe ich mich am nächsten Morgen in die Küche, um mir einen Kaffee zuzubereiten. Ich muss endlich dafür sorgen, dass Geld ins Haus kommt, um meine monatlichen Kosten zu decken. Mein Gespartes ist nun mal bald aufgebraucht und es wäre allerhöchste Zeit, dieses Geld zu beantragen.
    Mit dem dampfenden Kaffee sitze ich im gemütlichen Sessel auf dem Balkon. Genussvoll strecke ich die Füße in die Morgensonne.
    Plötzlich habe ich eine Idee.
    Sofort springe ich auf und rufe Nicole an, eine Bekannte, die ich vom Heilpraktikerstudium kenne.

Geisterbeschwörung aus Geldmangel
     
    Nicole nimmt gleich nach dem ersten Klingelton ab. Sie ist eine typisch frohgelaunte Frühaufsteherin. Sehr

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