Die Lebenskünstlerin (German Edition)
mal antanzen, doch generell verhalte ich mich vornehmlich reserviert.
Natürlich turnt es mich an, die Hüften kreisen zu lassen, die langen glänzenden Haare beim ausgelassenen und bewegungsintensiven Tanz zu wirbeln und meine vollen Brüste betont in Szene zu setzen. Da kann ich mich in meinem sonst so farblosen Leben ein paar Stunden richtig wild und weiblich fühlen.
Häufig werde ich angesprochen. Doch bin ich mit vollem Körpereinsatz tief im Tanz versunken, stört mich das gewaltig. Schnöde blitzt der tapfere Krieger ab, der mich vorgeblich schon mal irgendwo gesehen hat oder von irgendwoher kennt. Diese Anmachsprüche sollten wirklich verboten werden. Bist du öfters hier ist auch so einer. Vielleicht sollte ich mal eine Liste veröffentlichen über gute Methoden, einer Dame gegenüber Interesse zu bekunden.
Allerdings gibt es nichts abturnenderes, als ein Mann mit einem fast ausgetrunkenen Bierglas in der Hand, den freien Arm an der Theke abgestützt, den glasigen Blick im Ausschnitt einer Frau versunken und dann als Krönung noch so einen billigen, primitiven, einfallslosen und dämlichen Spruch. Igitt.
In mir steckt ohnehin das ungeprüfte Vorurteil, dass eine Frau in Diskotheken keinen Mann fürs Leben kennen lernen kann. Das mag blanker Unsinn sein, doch etwas in mir glaubt felsenfest daran.
Hin und wieder lasse ich mich dann doch mal auf ein Gespräch ein. Trinke brav eine gespendete Cola light, quäle mich durch einen zähen Foxtrott.
Am Liebsten tanze ich alleine, völlig eins mit mir selbst. Damit ich spüre, wie die Musik und die satten Bässe meinen Körper durchfluten. Jede Faser wird in rhythmische Schwingungen versetzt. Ich genieße dieses Gefühl der Hingabe.
Ich tanze nicht mehr. Ich bin ganz und gar eins mit dem, was ich da tue und fühle, es tanzt mich. Ich bin der Tanz.
Mit Carmen und Elena erörtern wir unser beliebtes Thema: Der Mann. Carmen liest gerade ein Beziehungsbuch, in dem es heißt, das Leben wirke wie ein Spiegel. Die Männer, die sich von mir angezogen fühlen, würden etwas in mir widerspiegeln. Und sei es das unliebsam Verdrängte.
„Na wunderbar“, stöhne ich und schlürfe den letzten Rest meines Milchkaffees aus dem formschönen Glas. Das junge Pärchen vom Nachbartisch in dem kleinen Café in Bad Vilbel hört nun auch interessiert zu.
Carmen fängt sogleich von ihrer neuen On-/Off-Beziehung mit Oliver an. So nennt man die Art von Beziehungen, in denen immer wieder Schluss gemacht wird, dann wieder versöhnt und so weiter. Der olle Oli sei ein schlimmer Messi, würde alles aufheben und sammeln. Im Gegensatz dazu hat sie bekanntermaßen einen Ordnungsfimmel.
„Klingt doch ganz nach Ergänzung“ finde ich und will noch einen Milchkaffee mit so einem runden leckeren Keks.
„Wiederkehr des Verdrängten durch die Hintertür in überzogener Form“ wirft Elena wissend dazwischen, die gerade in dem besagten Buch blättert und nebenbei die dicken Erdbeeren von ihrem Eisbecher auf den Löffel hievt.
Ich bestelle mir schnell noch einen Milchkaffee, das Thema lässt jetzt keine weitere Unterbrechung zu.
Elena überlegt laut, wo sich so ein Beispiel in ihrem Leben zeigen könnte. Leise flüstert das Paar am Nebentisch miteinander, sie warten gespannt auf die kommenden Ausführungen.
Genüsslich schiebt die findige Eleonore einen großen Happen Eis in den Mund. Während sie den Löffel wieder zum Becher führt, gibt sie ihre Erkenntnisse preis:
„Ich habe mich ständig um meine jüngeren Brüder gekümmert, mein ganzes Leben lang. Ich bin so was wie ihre Ersatzmutter. Dann bin ich ja auch noch Kindergärtnerin seit Ewigkeiten. Mein Sohn ist oft genervt von meinem Bemuttern. Er behauptet, ich sei ein überfürsorgliches Muttertier. Und bei den Männern ziehe ich ständig große Jungen an, erwachsene Kinder, die an meinem Rockzipfel kleben und mich nicht als empfindsame und auch mal schwache Frau sehen können.“
Das Paar lehnt sich während des unterhaltsamen Vortrags zurück und schweigt weiter. Die junge Frau sieht aus, als lässt sie ihre ganze Beziehung Revue passieren, während er sorgenvoll auf das zu erwartende Resultat die Stirn runzelt.
Carmen ist noch in Gedanken bei ihrem neuen Freund, den sie in einer Selbsthilfegruppe für Essgestörte kennengelernt hat. Rigoros übergeht sie Elenas Beitrag und erzählt aufgeregt von Oliver.
„Oliver isst streng abstinent, wiegt sein Essen akribisch genau ab. Damit hat er schon bald dreißig Kilo
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