Die Lebenskünstlerin (German Edition)
suspekt. Nachdem wir unsere Befindlichkeiten kurz klären, lenke ich möglichst unauffällig das Gespräch auf die Tarotkurse, die ich während des Studiums angeboten hatte, um etwas dazuzuverdienen.
Sie springt sofort an.
Von meinen medialen und spirituellen Fähigkeiten aus irgendeinem Grund überzeugt, freut sie sich regelrecht überschäumend auf die mögliche Wiederholung solcher Treffen.
Minutenlang lasse ich mich davon überzeugen, dass diese angeblich unbedacht ausgesprochene Idee einzigartig sei. Schließlich geht es hier um Größeres, um einen Dienst an der Menschheit. Also stimme ich noch ein bisschen zögerlich zu.
Nicole verspricht, die leidige Organisation zu übernehmen, ich kann mich somit auf das Wesentliche konzentrieren und die universellen Kanäle öffnen.
Genauso wollte ich das haben.
Vielleicht gefällt es mir wieder, mich mit den spirituellen Dingen zu beschäftigen und auf der unergründlichen, weichgespülten Esoterikwelle zu paddeln.
Magie ist eine Brücke, um von der sichtbaren Welt in die unsichtbare zu gelangen. Und von beiden Seiten zu lernen.
Zu all diesem habe ich ein recht entspanntes Verhältnis. Denke ich. Niemals wäre ich so Feuer und Flamme wie Nicole, die es fertig bringt, sich diversen Gruppen anzuschließen, von denen ich überzeugt bin, dass sie sektenähnlich, geldgierig und undurchschaubar sind.
Wir verabreden einen Termin in ein paar Tagen. Bis dahin muss meine Wohnung energetisch gereinigt und irgendwie mystisch gestaltet werden, damit die Atmosphäre stimmig ist.
Vor Jahren habe ich mich intensiv mit spirituellen Themen beschäftigt. Das hat einfach dazugehört auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, den ich allerdings immer noch nicht definieren kann.
Was mich einst zusätzlich davon abgehalten hat, mich weiter in intensiver Form mit esoterischen Themen zu beschäftigen, war das Gefühl, mich aus meiner realen Welt zu bugsieren und damit etwas verschroben und weltfremd zu werden. Dazu kam noch, dass mich bei den Mitsuchenden die Absolutheit, mit der diese die vermeintlichen Wahrheiten konsumierten, abschreckte.
Spieglung? Nein, niemals.
Ein junger indischer Guru, aus einem berühmten Ashram, wurde in meinem damaligen Freundeskreis hochgejubelt als Verkünder der einzigen Wahrheit. Seine Worte waren Gesetz, bis irgendwann seine glänzenden Ausführungen zurückhaltender und leiser wurden. Die Euphorie des spirituellen Wahns übertrug sich schnell und in voller Wucht auf den nächsten Erleuchteten.
Dieser führte eine esoterische Gruppe in der Rhön. Die Mitglieder wirkten alle glückselig und zufrieden. Blöd war nur, dass der heilige Meister wegen Unterschlagung in den Knast musste.
Sogleich fand sich etwas Neues. Nun wurden die Elemente angebetet.
Bernadette, auch eine von der alten Truppe, betrieb dies exzessiv. Sie legte sich nackt im November in einen Seitenarm der Kinzig, um dem Element Wasser zu huldigen. Nachdem sie ein paar Wochen später ihre schlimme Lungenentzündung wieder einigermaßen im Griff hatte, kam das Element Erde an die Reihe.
Dieses Unterfangen bescherte ihr eine Sehnenscheidentzündung, da sie stundenlang im Garten saß, beide Daumen in den Erdboden gesteckt.
Dem Element Feuer durfte ich beiwohnen. Eine Gruppe halbnackter Idioten, ich eingeschlossen, tanzten um eine große Feuerstelle barfuß bei Bernadette im Garten.
Die von den Nachbarn alarmierte Feuerwehr brach das Ganze dann unsanft und gänzlich unspirituell ab.
Natürlich hat dieser esoterische Kult auch irre Spaß gemacht. Dennoch, diese fanatische Konsequenz, mit welcher einige aus unserer Gruppe diese Dinge betrieben, die schreckte mich eines Tages gewaltig ab.
Euphorische, verbissene spirituelle Allesfresser – das ist wahrscheinlich die passende Bezeichnung hierfür.
Ich wollte ein paar neue Dinge ausprobieren. Darüber hinaus sollte es Spaß machen. Nebenbei wünschte ich etwas über mich und von anderen zu lernen. Das Beste habe ich mir herausgepickt, den Rest gelassen und als Erfahrung verbucht.
Ob es richtig ist, die alte Gruppe wieder in mein Leben zu lassen?
Immerhin habe ich mich bewusst in den letzten Monaten gänzlich zurückgezogen.
Trotzdem dekoriere ich artig für das Treffen meine Wohnung, platziere die indischen Figuren aus Messing auf meiner Kommode und dem alten, schweren Schreibtisch.
Lakshmi, die Göttin der Erde, der Schönheit und des Reichtums mag ich besonders.
Die Göttin Tara verkörpert die weibliche Gottheit an sich.
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