Die Lebenskünstlerin (German Edition)
mir wieder klar, wie dankbar ich für meine geistige Gesundheit sein kann.
Ich bin vielleicht etwas neurotisch, grüble zuviel, mein Selbstwert ist nicht der Beste, ich bin ständig auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und anscheinend beziehungsgestört, unfähig möchte ich nicht mehr sagen, aber ich bin nicht so abgedreht, dass ich mich und andere gefährde. Danke.
Der Höhepunkt der Freizeit naht und es herrscht ein reges Treiben im Haus. Zum Jahresabschluss werden Brennhölzer aus den umliegenden Wäldern gesammelt, um sie dann zu einem großen Lagerfeuer aufzuhäufen. Auf dem riesigen Gelände der Herberge ist dafür extra ein behaglicher Platz vorgesehen, sogar eine Hütte zum Unterstellen und einfache Holzbänke stehen dort bereit.
Dazu gibt es im großen Speisesaal Häppchen und allerlei Leckeres, um die Zeit bis Mitternacht durchzustehen. Alkohol ist auf Freizeiten ja nicht erlaubt und so herrscht eine gefühlvolle und aufgeregte Stimmung, die nicht verfälscht ist von Bier, Wein und Sekt.
Die Musikgruppe schleppt ihre Gitarren, Bongos, Djembé-Trommeln und Rasseln an den Lagerfeuerplatz. Ein paar Frauen wollen sofort tanzen, als die Instrumente miteinander abgestimmt werden. Gleich geht es los, es wird gesungen, Arm in Arm geschunkelt, gelacht, geweint, getrommelt, getanzt und das Feuer genährt mit immer neuen Holzscheiten, Ästen, Gestrüpp.
Es wärmt wunderbar, ich tanze zu den Trommelrhythmen und freue mich, dass ich hier bin. Dazwischen plündere ich das Gemüse vom Buffet, schwatze mit ein paar Leutchen und springe dann wieder wie eine Hexe um das große Feuer herum. Wir schreien ausgelassen wildes Zeug, lachen befreit, das macht wahnsinnigen Spaß.
Um Mitternacht fallen wir uns in die Arme, wünschen uns das Beste und einige sehen dem kleinen Feuerwerk im Dorf aus der Ferne zu. Niemand von uns zündet eine Rakete oder Kracher an, um die bösen Geister im neuen Jahr zu vertreiben. Das Rumgeknalle hat anscheinend all die Jahre zuvor auch nichts gebracht.
Allmählich klingt der wunderschöne Abend aus und zufrieden und glücklich liege ich erschöpft in meinem Bett und rieche noch den typischen Duft vom Lagerfeuer in meinen Haaren.
Am nächsten Morgen verabrede ich mich spontan mit ein paar Frauen, um Tarotkarten zu legen.
Das passt ganz gut, denn wo komme ich her, wo stehe ich, wo will ich hin; das sind Themen, die in meinem Inneren brodeln.
So lautet dementsprechend meine erste Frage: Welches Thema ist als nächstes bei mir angesagt?
Die Antwort hätte ich mir auch selbst geben können: Sinnfindung.
So sprechen die Karten genau das aus, was ich ohnehin schon weiß.
Dazu kommt noch die Erkenntnis, dass ich mich mit meiner eigenen Bedürftigkeit zeigen soll. Ohne zu erwarten, dass der andere sie ausgleicht, nein, zeigen und zumuten. Genau mein Thema, denn ich kann ja alles alleine.
Es heißt ja: Je mehr ein Mensch seine Schwächen offen macht, um so deutlicher zeigen sich auch seine Stärken.
Maria legt zum ersten Mal ihre Karten. Sie ist sehr aufgeregt und hat mit dem Formulieren ihrer Frage ziemlich Probleme.
„Je deutlicher die Frage, desto deutlicher die Antwort“, erkläre ich ihr geduldig und unterstütze sie darin, ihren umfangreichen Gefühlswirrwarr auf einen Nenner zu bringen. Sie braucht Ewigkeiten, bis sie die Essenz ihrer Gedanken zusammenbringt und daraus endlich eine Frage formuliert.
Aber allein durch das deutliche Benennen ist ihr vieles schon klarer geworden, die Antwort der Karten ist dann nur noch eine Bestätigung des eigenen inneren Wissens.
Am Ende der Freizeit bin ich angefüllt mit guten Gedanken. Ich habe hier viel Annahme und Stärkung erfahren dürfen.
Carmen lenkt ihren Wagen sicher über die verschneiten Landstraßen, froh bin ich, dass ich nicht selbst fahren muss. Ich koste jede Sekunde aus, im Fond zu sitzen und zu beobachten, wie sich die vorbeiziehende Landschaft verändert.
Unterwegs parken wir an einem See. Wilde Nebelschwaden schwingen wie tanzende Geister. So etwas Schönes.
Fasziniert beobachte ich das wunderbare Schauspiel. Jederzeit gefasst, im Dunst ein Wesen zu entdecken, das nicht von dieser Welt ist.
Vielleicht einen kleinen Waldgeist, der am Ufer sitzt, in der Hoffnung, dass eine Märchenfee seine Sehnsucht stillt. Ich phantasiere mich so richtig genüsslich in diese Stimmung hinein.
„Ich habe Hunger“ verkündet Carmen. Wie profan. Aber sie hat ja Recht.
Adios, du wundersame Märchenwelt.
Beim nahen Italiener
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