Die Lebküchnerin
sonst. Feiern machte hungrig. An diesem Vormittag aber gab es keinen Lebkuchenstand auf dem Hauptmarkt.
Benedicta hatte Anselm davon abhalten wollen, überhaupt auf die Straße zu gehen, aber er lechzte danach, der feigen Mörderin noch einmal ins Angesicht zu blicken. Benedicta hatte ihn zumindest davon abbringen können, in dem Zug der Menge mitzugehen. Deshalb standen Benedicta und Anselm nun außerhalb des Stadttores an der Betsäule zu Füßen des Galgenberges und warteten. In der Ferne hörten und sahen sie schon den lärmenden und nicht enden wollenden Zug der Nürnberger, wie er hinter der Mörderin aus der Stadt herauskam. Schreckliche Musik schallte zu ihnen herüber.
Benedicta hielt sich die Ohren zu. Besorgt warf sie Anselm einen Seitenblick zu. Er wirkte wie versteinert. Und dabei blass und abgemagert. Seine Haut war aschfahl, er schien um Jahre gealtert und wirkte ungepflegt. Seit Agnes’ Tod hatte er nicht mehr essen wollen und sich auch nicht mehr in der Backstube blicken lassen. Stattdessen hockte er Tag für Tag in der Kammer, in der sie gestorben war, und starrte stumpfsinnig die Wand an. Nicht einmal seinen Sohn hatte er seitdem beachtet.
Benedicta war es gelungen, eine Amme aufzutreiben, die dem Kind ihre Milch gab. Der kleine Junge war weder getauft, noch hatte er einen Namen. Benedicta nannte ihn Leon nach Priorin Leonore. Er gedieh prächtig. Benedicta hatte ihre helle Freude an dem Bübchen. Längst hatte er kein faltiges Gesicht mehr, sondern rosige, runde Wangen. Und er schaute mit wachen Augen in diese Welt.
Anselm muss wieder ins Leben zurückkehren. So geht das nicht weiter, dachte Benedicta entschlossen.
»Noch können wir gehen«, schlug sie ihm leise vor und fasste sanft nach seiner Hand.
»Ich will ihr ins Gesicht spucken!«, krächzte Anselm heiser.
Benedicta schüttelte sich vor Abscheu. Sie konnte ja verstehen, dass er Lukarde hasste, aber was nützte es Agnes, wenn Anselm sich nun am Leiden ihrer Mörderin ergötzte? Davon wurde sie auch nicht wieder lebendig.
Die fröhliche Meute kam immer näher. Neben der fürchterlichen Musik drangen auch hässliche und gemeine Schmähungen bis zu ihr herüber.
»Auf dass du lange am Galgen zappelst, du Missgeburt!«, höhnte ein Mann. Benedicta zuckte zusammen.
»Anselm, komm mit mir! Noch können wir nach Hause gehen. Agnes hätte nicht gewollt, dass wir schadenfroh Lukardes letzten Weg begaffen.«
Er aber schnaubte nur verächtlich. »Das mag bei Klosterschwestern so sein, aber Agnes hätte es gefallen, dass ich ihrer Mörderin einen Stein entgegenschleudere.« Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, bückte er sich schon und hob einen großen Stein auf.
Benedicta erstarrte. Er wollte doch nicht etwa damit nach Lukarde werfen?
Als errate er ihre Gedanken, zischelte er: »Man wird sie hängen. Das ist zu milde für dieses Weib, die meinen Vater und meine Frau auf dem Gewissen hat. Ich hoffte, sie würden sie vierteilen.«
»Man hat ihr strafmildernde Umstände zugebilligt, weil sie es tat, damit du frei für sie bist. Sie soll die Verbrechen aus verschmähter Liebe zu dir begangen haben.«
Er lachte höhnisch. »Und ich werde ihr zeigen, wie abgrundtief ich sie hasse.«
Benedicta konnte nur noch unter Mühen verstehen, was er sagte, denn nun war die Prozession nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. An der Spitze ging Lukarde neben einem Geistlichen. Hoch erhobenen Hauptes, die Hände auf dem Rücken gefesselt, kam sie ihnen entgegen.
Benedicta hielt die Luft an. Die Mörderin ihrer Freundin kam ihr nun gefährlich nahe. Das weckte auch in ihr das Verlangen, der jungen Frau mit dem Engelshaar ins Gesicht zu spucken.
Plötzlich brach Lukarde in ein irres Gekicher aus. Ihr Gesicht verzerrte sich, als hätte man es ihr zerschlagen. Spuren der Folter, mutmaßte Benedicta. Lukarde wandte den Kopf Anselm zu und schrie mit sich überschlagender Stimme: »Lasst mich meinen Bräutigam zur Hochzeit mitnehmen! Komm, Anselm, wir tanzen! Es ist das schönste Fest, das die Bäcker jemals feierten. Komm, mein Liebster, nun folge mir!«
Benedicta verspürte bei dem Anblick der offenbar völlig verwirrten Lukarde keinen Deut von Rache mehr. Im Gegenteil, sie tat ihr leid. Wahrscheinlich liebt sie Anselm wirklich, und seine Zurückweisung hat sie um den Verstand gebracht, ging es ihr durch den Kopf.
Und ehe sichs Benedicta versah, landete ein Stein im Gesicht der Giftmörderin. Blut spritzte, und ein knackendes Geräusch war zu
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