Die Lebküchnerin
hören. Die Nase war mit voller Wucht getroffen worden. Gibt es denn niemanden, der dieser Grausamkeit Einhalt gebietet?, fragte sich Benedicta angeekelt. Lukarde aber schrie nicht einmal auf, sondern kicherte in einem fort weiter.
Mit einem Seitenblick vergewisserte sich Benedicta, dass nicht Anselm der Steinewerfer gewesen war. Der junge Bäckermeister aber starrte Lukarde nur wie betäubt an. Nein, er war es nicht gewesen und ließ den Stein nun zu Boden fallen. Sogar die Lust zum Spucken war ihm offenbar vergangen.
»Komm, wir gehen!«, drängte Benedicta und zog ihn am Ärmel seines Hemdes, aber Anselm blickte die Mörderin an, als sei er ebenfalls nicht mehr bei Sinnen.
Die Prozession hielt jetzt unmittelbar neben ihnen an der Betsäule. Lukarde stand zum Greifen nahe. Sie beachtete Anselm aber gar nicht mehr, sondern murmelte nur vor sich hin. »Wo sind meine Kinder? Meine Kinder sind fort!«
Lukarde weigerte sich, an der Säule zu beten, doch der Geistliche zwang sie auf die Knie. Statt zu beten und ihre Sünden zu bereuen, kicherte sie irre.
Ein gebeugter alter Mann trat auf sie zu und reichte ihr die Hand, doch Lukarde schlug sie beiseite. »Geh von mir! Ich kenne dich nicht«, geiferte sie und spuckte ihm ins Gesicht.
Benedicta erschrak, als sie das schmerzverzerrte Gesicht des Alten erkannte. Es war kein Geringerer als Meister Burchard.
Lukarde ist dem Wahnsinn verfallen, dachte Benedicta, doch in diesem Augenblick kam die Mörderin auf Anselm zu. »Dich soll der Teufel holen!«, zischelte sie. »Alle glauben, ich sei verrückt. Das erleichtert mir die Strafe und meinem Vater die Trauer. Dabei war es ein erhebender Augenblick, als dein törichter Vater verreckte, der dir diese Ehe gestattete, und als dieses Hurenweib sich in Krämpfen wand. Und der Hund fraß mir das Brot gierig aus der Hand.« Sie lachte hässlich auf.
Benedicta erwartete, dass Anselm ihr dafür mehr als nur ins Gesicht spucken werde, doch er wandte sich ab und sagte mit ruhiger Stimme: »Komm, Brunhild, lass uns rasch fortgehen! Weit weg! Ich muss nach meinem Kind sehen, und die Backstube wartet. Dies ist kein Ort für anständige Christenmenschen.«
Benedicta konnte ihm kaum folgen, so schnell eilte er davon. Doch sie war erleichtert, dass ihn das letzte Zusammentreffen mit Lukarde zur Vernunft gebracht hatte. Dann hatte seine Begegnung mit der Mörderin wenigstens einen Sinn gehabt. Nun würde endlich wieder der Alltag im Bäckerhaus einkehren. Das jedenfalls hoffte Benedicta in diesem Augenblick, konnte sie doch nicht ahnen, dass es noch schlimmer kommen würde.
Sie hasteten an der langen Prozession der Gaffer entlang in entgegengesetzter Richtung. Zurück in die Stadt. Weg von dem Grauen dieser Hinrichtung.
Wie von ferne nahm Benedicta die Gesichter der Menschen wahr, die mit auf den Galgenberg zogen. Dafür dröhnte ihr das falsche Spiel von Trommel und Horn unerträglich laut in den Ohren.
Plötzlich meinte sie aus der Menge ihren Namen rufen zu hören, doch sie kümmerte sich nicht darum. Sie wollte nur noch weit fort von diesem abscheulichen Schauspiel.
48
Adelheit von Altmühl konnte sich kaum noch beherrschen und fuchtelte wild mit den Armen. »Das war sie! Das war deine Schwester!«, brüllte sie außer sich vor Aufregung, doch ihr Sohn wandte sich nicht einmal um.
»Ich habe sie nicht gesehen«, bemerkte Conrat träge. Er war mittelgroß, von kräftigem Körperbau, hatte schütteres Haar und ein weiches Kindergesicht.
»Hast du denn keine Augen im Kopf? Das war deine Stiefschwester, die soeben an uns vorüberlief.«
Conrat von Altmühl rollte mit den Augen. »Wenn Ihr doch endlich Ruhe gäbt, Mutter!«
Adelheit aber wollte sich ganz und gar nicht beruhigen. »Das ist sie, die Sünderin!«, schrie sie mit sich überschlagender Stimme.
»Mutter, nicht so laut!«, flehte er.
»Komm, wir schnappen sie uns!«, schrie Adelheit in die Richtung, in der sie ihre Stieftochter eben gesehen zu haben glaubte. Doch jene junge Frau, in der Adelheit Benedicta wiedererkannt hatte, war in der Menge verschwunden.
»Ich kriege sie!«, fauchte Adelheit.
»Ja, Ihr kriegt sie«, wiederholte ihr Sohn müde und fügte lebhafter hinzu: »Lasst uns umkehren! Wir sind doch nur mitgegangen, weil die ganze Stadt auf den Beinen ist und Ihr Benedicta in der Menge der Gaffer zu sehen hofftet. Und nun ist sie Euch entwischt, wenn sie es denn überhaupt war. Also müssen wir den vermaledeiten Berg doch nicht hinaufsteigen. Wir könnten
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