Die Lebküchnerin
Engelthal?«
»Weil der hochehrwürdige Provinzial alle Spuren Eurer Flucht auslöschen wollte. Ich habe Euer Verschwinden damals entdeckt und ruchbar gemacht. Erst konnte man mir nicht genug danken, doch dann wendete sich das Blatt. Plötzlich, als einige reiche Adlige ihre Töchter nicht mehr der Obhut Engelthals anvertrauen wollten, wurde behauptet, ich hätte eine Lüge in die Welt gesetzt. Es sei gar keine Nonne aus dem Kloster entflohen. Und damit ich nicht mehr die Wahrheit verbreiten konnte, wurde ich nach Sankt Katharinen gebracht und mit einem Schweigegebot belegt.«
»Dann seid Ihr sicher böse auf mich, nicht wahr?«
»Nein, Ihr könnt ja nichts dafür, dass es mir nicht wirklich gedankt wurde.«
Nun verzog das Kind abermals den Mund und plärrte wenig später lauthals los.
»Was hat er?«, wollte Walburga wissen.
»Hunger. Er hat seit gestern keine Nahrung mehr bekommen.«
»Ja, dann gebt ihm doch Nahrung! Eure Brüste platzen doch sicher schier vor Milch.«
Benedicta schüttelte traurig den Kopf. »Ich habe keine Milch und kann ihn nicht an meinen Brüsten nähren. Ich brauche eine Amme.«
Walburga betrachtete sie zweifelnd. »Ihr seid immer noch so mager und habt gar nichts von einer jungen Mutter an Euch. Ich kenne mich zwar nicht besonders gut aus, aber die Frau des Klostergärtners hat gerade einem Kind das Leben geschenkt. Und das ist schwerlich zu übersehen. Sie ist immer noch prall wie eine reife Frucht.«
Neugierig beugte sich Walburga über das Kind und musterte es aufmerksam. »Merkwürdig. Es hat so gar nichts von Euch. Es besitzt die Augen der Köchin. Seht her! Auch der Mund, der scheint mir Agnes’ Mund zu sein.«
Walburga hob den Kopf und musterte die vermeintliche Mutter durchdringend. Benedicta spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss. Sie blickte krampfhaft nach unten, damit Walburga ihr die Wahrheit nicht vom Gesicht ablesen konnte.
»Agnes ist tot. Man hat sie vergiftet«, sagte sie leise und wusste nicht, warum sie das preisgab; schon gar nicht ihrer einstigen Todfeindin. Sie wartete eigentlich nur darauf, dass Walburga ihr Leon mit hartem Griff aus den Armen riss und ihr höhnisch vorwarf, das Kind sei schließlich nicht von ihr.
Nichts dergleichen geschah. Es war still in der Zelle, bis das Kind, das eine Pause machte, um neue Kraft zu schöpfen, erneut losbrüllte. Dieses Mal wollte es nicht mehr aufhören. Es schrie und strampelte so lange, bis es krebsrot im Gesicht war.
Hilfesuchend wandte sich Benedicta an Walburga, doch die verließ nur wortlos die Zelle.
Dann soll Walburga doch jemanden holen, der mir den Kleinen wegnimmt, dachte Benedicta trotzig. Hauptsache, er bekommt endlich etwas zu trinken. Sie befürchtete nämlich, das Kind werde entweder an seinem eigenen Geschrei ersticken oder vor Hunger sterben, doch da schlief es erschöpft ein.
Aber was wäre, wenn er wieder aufwachte? Benedicta mochte kaum daran denken, zumal in diesem Augenblick all jene Gefühle auf sie einzustürzen drohten, gegen deren Ausbruch sie in den letzten Tagen so tapfer angekämpft hatte.
Crippin, Artemis, Agnes und Anselm.
Der Schmerz über all diese schrecklichen Verluste wollte ihr schier die Kehle zuschnüren.
»Warum hast du das zugelassen, lieber Gott?«, schrie sie und trommelte mit den Fäusten gegen die Wand der kargen Zelle.
Und sie spürte eine fast unerträgliche Sehnsucht nach Konstantin, aber sie hatte keine Träne mehr. Im Gegenteil, ihrem Schicksal hinter dicken Mauern sah sie beinahe gleichgültig entgegen. Sie war so müde und abgekämpft, dass sie sich schließlich neben Leon auf die Pritsche legte und zur Decke hinaufstarrte.
53
Benedicta erwachte von einem saugenden und schmatzenden Geräusch. Als sie hochfuhr, blickte sie in das gutmütige Gesicht einer prallen jungen Frau, deren Wangen rosig glänzten und an deren Brust Leon gierig trank.
»Ich konnte die Frau unseres Gärtners überreden, ein wenig Milch für dein Kindchen abzugeben«, bemerkte Walburga und zwinkerte Benedicta verschwörerisch zu.
Benedicta rieb sich verwundert die Augen. Träumte sie, oder geschah das wirklich?
»Er war halb verhungert. Warum habt Ihr keine Milch? Und wenn Ihr ihn schon nicht stillen könnt, dann müsst Ihr Euch wenigstens um eine Amme kümmern«, sagte die junge Frau vorwurfsvoll und strich dem Kind mitleidig über das Köpfchen. »Und er trinkt mindestens so viel wie mein Sohn. Er wird mal kräftig, nehme ich an.«
»Ja, der Kleine kommt so gar nicht
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