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Die Lebküchnerin

Die Lebküchnerin

Titel: Die Lebküchnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Schrödter
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wissen, wollte ihm schier das Herz zerreißen. War seine Tante blind? Benedicta von Altmühl gehörte nicht nach Engelthal. Seine Tante musste sie doch nur einmal aufmerksam betrachten wie einen freien Menschen, nicht wie eine Nonne! Diese wachen braunen Augen strahlten Lebensgier aus und würden sich niemals derart in Christi Leiden versenken, wie es einer Dominikanerin abverlangt wurde. Wo die Schwestern in mystischen Erlebnissen ihre Erfüllung zu finden glaubten, blitzte Benedicta die Lust auf die Welt dort draußen aus jeder Pore.
    Bei dem Gedanken an Benedictas lebendiges Wesen stieß Julian einen tiefen Seufzer aus. Ich kann nichts dagegen tun, ich liebe sie, schoss es ihm beinahe verwundert durch den Kopf. Das Beste wäre wohl, ich würde rasch abreisen, schnellstens heiraten und so bald keinen Fuß mehr auf den Klosterboden setzen, sprach er sich gut zu, aber seine Füße taten das Gegenteil. Schritt für Schritt schlich er in Richtung der Zellen, einem Ort, den zu betreten jedem Fremden strengstens untersagt war.
    Ich muss umkehren, riet ihm gerade eine innere Stimme, als er hinter sich rasche Schritte nahen hörte. Er zuckte zusammen. Wie gern hätte er sich versteckt, aber es gab weit und breit nicht einmal eine Nische, in der er sich hätte verbergen können. So atmete er einmal tief durch und erwartete das Schlimmste, als die Frau ihn überholte, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
    Die Muhme, befürchtete er im ersten Schrecken, doch dann erkannte er die Köchin namens Agnes. Das ist ein Wink des Schicksals, sagte er sich und nahm seinen ganzen Mut zusammen.
    »Agnes, könnt Ihr mir helfen? Ich wüsste gern, in welcher Zelle die ehrwürdige Schwester Benedicta wohnt.«
    Statt eine Antwort auf seine Frage zu geben, fuhr Agnes entrüstet herum und funkelte ihn wütend ein.
    »Ihr wisst schon, dass es Euch verboten ist, die Zellen der Schwestern aufzusuchen, oder?«
    Julian nickte schuldbewusst. »Ja, natürlich, doch mich schickt meine Tante, der Schwester eine Botschaft zu überbringen.«
    »Mein Herr!«, fauchte Agnes. »Ich bin vielleicht nicht des Lesens und Schreibens mächtig, doch auch wenn Ihr hundertmal der Neffe der ehrwürdigen Priorin seid, niemals würde sie einen fremden Mann zu den Nonnen schicken, und bestimmt nicht ausgerechnet Euch zu Schwester Benedicta!«
    »Ja, ich gestehe, Ihr habt mich der Lüge überführt. Ich komme heimlich, aber glaubt mir, ich habe der Schwester wirklich gute Nachrichten zu überbringen.«
    Agnes stöhnte auf. »Das kann jeder behaupten!«
    »So glaubt mir doch! Der Provinzial verlangt, dass nur sie fortan die Lebkuchen backt.«
    »Das ist ja wunderbar!«, rief Agnes aus, doch dann fügte sie schnippisch hinzu: »Diese Nachricht kann auch ich ihr überbringen!«
    Julian sah das Küchenmädchen listig an. »Ist es Euch denn erlaubt, sie zu besuchen?«
    Agnes lief rot an.
    »Nun, seht Ihr. Ich verrate Euch nicht, und Ihr verratet mich nicht. Bitte, erbarmt Euch meiner!«
    »Gut, folgt mir« knurrte Agnes, »aber das eine sage ich Euch: Wenn Ihr die Arme damit in noch größere Schwierigkeiten bringt, dann bekommt Ihr es mit mir zu tun.«
    Julian blickte sich noch einmal vorsichtig um, bevor er Agnes mit klopfendem Herzen nachschlich.

14
    Benedicta bebte vor Kälte und Hunger und war entsetzlich müde. Sie hatte es gänzlich aufgegeben, das Bildnis des Herrn zu betrachten, sondern lag auf ihrem Lager und starrte zur Decke hinauf. Derweil grübelte sie darüber nach, wie sie es wohl am besten anstellen konnte, aus dem Kloster zu flüchten. Ob sie sich auf dem Wagen verstecken sollte, wenn der Müller sein Mehl lieferte? In Gedanken ging sie alle Händler durch, die Waren an das Kloster lieferten. Und dann?, fragte sie sich. Was, wenn sie in das Haus ihres Vaters flüchtete? Doch kaum versuchte sie sich dies auszumalen, da überfiel sie mit aller Macht eine bittere Erkenntnis: Ihre Stiefmutter würde sie mit Sicherheit den Knechten des Provinzials ausliefern, und dann würde man sie mit Gewalt zurückbringen oder – noch schlimmer – in ein abgelegenes anderes Kloster verbannen. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Wenn nicht nach Hause, wohin konnte sie denn dann als mittellose Frau überhaupt gefahrlos gehen?
    Nirgendwohin!, beantwortete sie sich die Frage selbst und schluchzte verzweifelt auf. Es sei denn, ich heirate, fiel ihr plötzlich ein, und ihr Herz pochte bei dem Gedanken wie wild. Aber das wird nur ein frommer Wunsch bleiben, dachte sie

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