Die Lebküchnerin
Euch das nächste Mal besuche, dann nur mit meiner Frau, und dann halte ich mich an die klösterlichen Regeln. Ich schwöre bei Gott, dass ich dieses Menschenkind niemals mehr in Versuchung führen werde. Doch glaubt nicht, dass mich edle Motive dazu bringen. Nein, ich liebe sie von ganzem Herzen und möchte ihr das Leben nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Wenngleich ich meine Zweifel habe, dass sie sich jemals freiwillig …«
»Und wenn schon! Selbst wenn man sie gegen den Willen ihres seligen Vaters hergebracht hat, das Gelübde ist stärker als alle Versprechungen zuvor. Sie ist Christi Braut, daran gibt es nichts mehr zu deuteln.«
»Ich weiß«, stöhnte Julian. Er sah seine Tante durchdringend an. »Ob Ihr mir noch eine Bitte gewährt?«
»Wenn du mich um die Erlaubnis ersuchen willst, sie ein letztes Mal zu sehen, lautet meine Antwort: Nein!«
»Aber …«
»Ich befehle dir ausdrücklich, dass du sofort gen Nürnberg reitest. Sonst wird es womöglich noch dunkel, bevor du den Wald durchquert hast. Und ich möchte auf keinen Fall, dass du dem guten Kind noch mehr den Kopf verdrehst, indem du dich womöglich tränenreich von ihr verabschiedest.«
Mit diesen Worten vertiefte sie sich in ein Schriftstück und machte ihm mehr als deutlich, dass seine Anwesenheit im Kloster Engelthal nicht länger erwünscht war.
»Gehabt Euch wohl, Muhme!«, murmelte Julian und eilte geradewegs zu den Stallungen, um sein Pferd zu satteln. Dabei kam er allerdings an der Küche vorbei. Erst verlangsamte er seine Schritte lediglich, dann blieb er stehen, schloss die Augen und betete, dass ihm Benedicta ein letztes Mal begegnen möge. Er war sich sicher, dass sein brennendes Verlangen nach ihr schneller vergehen würde, wenn er sich angemessen von ihr verabschieden durfte.
Eine erschrockene Stimme unterbrach jäh sein Gebet. »Julian, ist Euch nicht wohl?«
Er riss die Augen auf, sah in Benedictas besorgtes Gesicht, und ein Strahlen erhellte seine gequälten Züge.
»Ich wusste doch, dass wir unter dem Schutz des Herrn dort oben stehen!«, rief er erleichtert aus und fügte leise hinzu: »Ich werde fortreiten und alsbald nicht mehr zu Besuch kommen. Und wenn, werden wir uns nicht mehr sehen. Und ich kehre nur mit meiner Ehefrau zurück …«
»Mit Eurer Ehefrau?«, unterbrach sie ihn erschrocken.
Julian stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich schwöre Euch bei meinem Leben. Es gibt keine. Doch meine Tante meinte, es würde uns beiden leichter fallen, Verzicht zu üben, wenn ich eines Tages eine andere zur Frau nähme. Ginge es nach mir, wärt Ihr diese eine, denn lieben werde ich immer nur …«
Benedicta trat einen beherzten Schritt auf ihn zu und legte ihm die Finger auf den Mund, um ihn sanft zum Schweigen zu bringen.
»Ihr habt recht. Möge Euch eine Frau begegnen, die Ihr zur Braut nehmen wollt. Ich möchte mich nun auch für alle Zeiten von Euch verabschieden«, hauchte sie, nahm ihre Finger fort und bot ihm stattdessen ihre Lippen zum Kuss.
Er schien zunächst ein wenig verstört, doch dann küsste er sie lange und innig.
»Das muss genügen für den Rest meines Lebens«, raunte sie mit heiserer Stimme, nachdem sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten. Sie versuchte, heiter zu klingen, was ihr nicht gänzlich gelang.
»Bitte, schick mich fort, Benedicta, ich kann keine andere als dich heiraten. Ich will diesen Verzicht nicht üben. Komm, sonst muss ich dich entführen, ehe du dichs versiehst«, stieß Julian verzweifelt hervor.
Benedictas Herz klopfte bis zum Hals. Wenn er sie wirklich mitnehmen wollte – durfte sie sich diese einmalige Gelegenheit dann wirklich entgehen lassen? Unter seinem Schutz würden die Schergen des Provinzials sie bestimmt nicht so leicht wieder einfangen.
»Ich schließe die Augen und zähle bis zehn. Wenn du dann immer noch da bist, dann sehe ich das als Zeichen des Himmels und lasse mich von dir entführen«, erwiderte sie scheinbar scherzend, während ihr ein dicker Kloß im Hals beinahe die Luft zum Atmen nahm. Er ist ein Ehrenmann, er wagt es nicht, dachte sie verzagt. Trotzdem schloss sie die Augen und zählte.
Julian blieb zunächst wie angewurzelt stehen, doch dann trat er einige Schritte rückwärts, wobei er den Blick nicht von ihr ließ. So und nicht anders wollte er sie in Erinnerung behalten. Sie strahlte vor Liebe und Verlangen. Kein anderer wird sie jemals so schön sehen, dachte er, wandte sich hastig um und eilte davon, ohne noch einmal
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