Die Lebküchnerin
keiner einholen, aber was war mit Julian und Agnes?
Plötzlich gelangte sie aus dem dunklen Wald hinaus und geradewegs auf eine Lichtung, die sich malerisch im Schein des Vollmondes ausbreitete. Hier will ich auf meine Freunde warten, beschloss sie und grübelte noch darüber nach, wie sie das wilde Pferd zum Stehen bringen sollte, als es von selbst innehielt. Sie überlegte nicht lange, sprang mit einem Satz von seinem Rücken und landete unsanft auf dem Waldboden. Doch schon während sie sich aufrappelte, merkte sie, dass sie unverletzt geblieben war.
Erschöpft ergriff sie das schwarze Pferd bei den Zügeln und führte es unter einen Baum. Dort band sie es an und hockte sich auf die Erde. Dabei lauschte sie angestrengt in die Stille der Nacht hinein. Wann kommen die beiden endlich?, fragte sie sich ungeduldig. Immer wieder beschlich sie die Angst, dass die Klosterknechte doch flinker gewesen waren, als Julian es für möglich gehalten hatte.
Doch was war das? Benedictas Herz klopfte bis zum Hals, als sie lautes Getrappel und Geschrei aus dem Wald vernahm. Genau aus der Richtung, aus der sie gekommen war!
Sie sind ihnen auf den Fersen, durchfuhr es sie eiskalt, und sie dachte nicht daran, Julians Befehl zu folgen und auf dem schnellen Schwarzen einfach davonzujagen. Niemals würde sie Julian und Agnes in einer gefährlichen Lage zurücklassen und sich selbst in Sicherheit bringen. Nein, wenn die Schergen die beiden ergriffen, dann wollte sie sich nicht feige aus dem Staub machen. Dann sollten sie auch ihrer habhaft werden.
Doch im hellen Schein der Lichtung eine Zielscheibe für die Verfolger abzugeben, das schien ihr auch keine Heldentat. Im Gegenteil, sie brauchte einen geeigneten Platz, von dem aus sie das Geschehen beobachten und den Gefährten notfalls helfen konnte. Behände sprang sie vom Waldboden auf, band das Pferd los und führte es von der Lichtung weg hinter eine alte Eiche, deren Stamm so breit war, dass sowohl das Pferd als auch sie sich dahinter verstecken konnten.
Dort angekommen, fing Benedicta am ganzen Körper zu zittern an. Es war nicht nur die nächtliche Kälte, die ihr durch alle Glieder fuhr, sondern die Angst, dass ihre Flucht bereits hier auf einer Lichtung unweit des Klosters endete.
Angespannt lauschte sie und hielt den Atem an. Das Pferdegetrappel und die Schreie kamen immer näher, und ihre Verfolger schienen schon durch das Unterholz zu brechen. Es hörte sich nicht so an wie zwei betrunkene Klosterknechte, sondern wie ein ganzes Heer.
Vor Entsetzen schloss Benedicta die Augen, um sie gleich wieder zu öffnen. Sie erwartete eine bis zu den Zähnen bewaffnete Verfolgerschar. Doch als sie den Zelter des Provinzials gemächlich auf die Lichtung traben sah, war ihr fast zum Lachen zumute. Und hoch zu Ross saßen Julian und Agnes.
Benedicta wollte schon ihr Versteck verlassen und den Freunden entgegenlaufen, da sah sie etwas durch die Luft sausen, unmittelbar auf Julians Rücken zu.
O Gott, ein Pfeil!, dachte sie noch, da bäumte sich Julian auch schon auf und stürzte mit einem Aufschrei vom Pferd.
Das Gebrüll der Verfolger hörte sich so an, als würde ein Kampf ausgefochten. Wütende Schreie drangen bis auf die Lichtung. Trotz der nahenden Gefahr zögerte Benedicta keinen Augenblick lang, sondern eilte aus ihrer Deckung hervor, um nach Julian zu sehen. Sie beugte sich zu ihm hinunter und erstarrte. Er lag bäuchlings mit dem Gesicht nach unten auf dem Waldboden, und aus seinem Wams ragte der schwere Pfeil einer Armbrust. Ohne nachzudenken, zog Benedicta ihn mit einem einzigen Griff aus dem verwundeten Fleisch und schleuderte ihn von sich. Die Wunde blutete stark. Julian stöhnte leise auf, und Benedicta drehte seinen Körper mit aller Kraft auf den Rücken.
Wortlos war auch Agnes vom Pferd gestiegen, um ihrer Freundin zu helfen. Der Zelter setzte sich derweil in Bewegung und wollte gemächlich in den Wald zurücktraben. Agnes versuchte noch, ihn daran zu hindern, da hielt sie plötzlich inne.
»Hörst du das? Es … es ist plötzlich so still«, flüsterte sie ängstlich.
»Bitte, versteckt euch!«, keuchte Julian. Er bemühte sich, die Augen öffnen, aber es gelang ihm nicht. Offensichtlich war er zu schwach, um die schweren Lider zu heben.
»Aber ich kann dich doch hier nicht liegen lassen«, widersprach Benedicta energisch und zog seinen Oberkörper vorsichtig auf ihren Schoss. Zärtlich strich sie ihm über das blonde Haar, das ihm am Kopf klebte. Er war
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