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Die Lebküchnerin

Die Lebküchnerin

Titel: Die Lebküchnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Schrödter
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Bauch schmerzt. Ich muss morgen das Bett hüten.«
    Agnes betrachtete sie zweifelnd. »Du siehst aus wie das blühende Leben. Deine Wangen schimmern gesund wie reife Äpfel, und deine Augen leuchten wie zwei Sterne. Das erkenne ich sogar im fahlen Mondlicht …«
    »Das ist das Fieber«, fuhr Benedicta hastig dazwischen.
    Ehe sie sichs versah, hatte Agnes ihr die Hand auf die Stirn gelegt. »Merkwürdig. Deine Stirn ist kalt wie das Eis auf einem Wintersee. Benedicta, sieh mich an! Was verheimlichst du mir?«
    »Ich … ich … ich weiß doch selbst nicht, ich …«, stammelte Benedicta verzweifelt. Wie konnte die Priorin nur verlangen, dass sie die Freundin belog? Das war eine Sünde, und es widerstrebte ihr aus tiefster Seele.
    »Agnes, bitte, tu einfach, was ich dir sage! Ich kann es dir nicht erklären. Vertrau mir, bitte! Back die Lebkuchen ab sofort nach unserem Rezept und frag nicht weiter nach!«
    Während ihrer letzten Worte konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Sie biss sich auf die Lippen, um die drängenden Tränen zu unterdrücken, aber es gelang ihr nicht. Kein Laut entrang sich ihrer Kehle, aber das salzige Nass lief ihr wie ein Sturzbach über das Gesicht.
    Agnes wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Schließlich umarmte sie die Freundin und schwor ihr, alles zu tun, was sie von ihr verlangte. Benedicta aber befreite sich hastig aus der Umarmung und stürzte, ohne sich noch einmal umzuwenden, aus dem Schlafsaal ins Freie. Blind vor Tränen stolperte sie zu ihrer Zelle, um wenigstens das Holzkreuz mit in ihr neues Leben zu nehmen.
    Sie tastete sich blind zu ihrem Lager und hielt das Kreuz mit einem einzigen Griff in den Händen. Es war stockdunkel in der Kammer. Sie hielt die Luft an. Es war so still, dass sie ihr eigenes Herz klopfen hörte. Und dann ihren eigenen Atem – aber warum rasselte der so entsetzlich? Und überhaupt, sie hielt doch die Luft an … Ihr war unheimlich zumute. Sie eilte aus ihrer Zelle, als wäre der Teufel hinter ihr her.
    Erst als sie bei der Amtskammer angelangt war, wagte sie wieder laut zu atmen. Plötzlich wusste sie, dass es kein Hirngespinst gewesen war. Ein Fremder war in ihrer Zelle gewesen. Kein Geist, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut.
    Sie überlegte noch, ob sie der Priorin davon berichten sollte, doch da hörte sie bereits die Stimme des Fechtmeisters besorgt fragen: »Benedicta, Ihr seht entsetzlich aus. Habt keine Angst! Es wird Euch nichts geschehen. Glaubt mir. Könnt Ihr reiten?«
    »Woher soll sie das können? Sie war noch ein Kind, als sie ins Kloster kam …«, antwortete die Priorin an ihrer Stelle.
    »Mein Vater hat es mich früh gelehrt«, widersprach Benedicta und sah Julian zum ersten Mal an diesem Abend richtig an. Sie hatte ihn wohler in Erinnerung. Er wirkte so entsetzlich bleich. Wo war das Funkeln geblieben, das sonst sternengleich in seinen Augen geglitzert hatte? Ob er Angst hatte, mit ihr in eine ungewisse Zukunft zu flüchten? Genau solche Angst wie sie bei dem Gedanken an ein Leben mit ihm?
    »Geht in Gottes Namen, aber geht schnell!«, befahl die Priorin ungeduldig und fügte mit scharfer Stimme hinzu: »Ich werde stets leugnen, dass ich etwas mit Eurer Flucht zu tun habe. Wir werden uns niemals wiedersehen.«
    Täuschte sich Benedicta, oder schimmerte es feucht in den Augen der Priorin, als sie entschlossen auf ihren Neffen zutrat? Sie zögerte für einen Augenblick, bevor sie ihn schluchzend umarmte.
    »Mein Junge!«, rief sie aus, während sie ihn fest an sich drückte. »Mein Junge!«
    Julian stand das Erstaunen über ihren überraschenden Gefühlsausbruch ins Gesicht geschrieben, doch er ging trotzdem ohne Zögern darauf ein und erwiderte die Umarmung.
    »Mein Junge, mein geliebter Junge«, stammelte die Priorin noch einmal, doch dann ließ sie ihn so plötzlich los, wie sie ihm zuvor in die Arme geflogen war. Sie setzte sich eilig zurück hinter ihren Arbeitstisch und sagte steif: »Nun kann ich nichts mehr für Euch tun – und nun fort mit Euch!«
    Jetzt war es Benedicta, die mit den Tränen kämpfte, denn die Priorin hatte sich mit keinem Wort von ihr verabschiedet.
    »Habt Dank, ehrwürdige Priorin«, sagte sie mit bebender Stimme.
    »Julian, sei gut zu ihr!«, wandte sich Leonore an ihren Neffen, ohne Benedicta dabei auch nur eines Blickes zu würdigen.
    »Macht Euch keine Sorge, liebe Muhme, ich bringe sie sicher von hier fort. Das verspreche ich bei meinem Leben. Ihr wisst doch, dass sich mit mir und meinem

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