Die Lebküchnerin
Schwert keiner straflos anlegt. Wir werden uns nach Italien durchschlagen. Auf meinen Reisen sind mir einige der dortigen Fechtmeister begegnet, und ich kann gewiss noch etwas von ihnen lernen. Und sie von mir …«
»Nun geht doch endlich! Sonst wird eure Flucht noch entdeckt, bevor ihr die Mauern des Klosters endgültig verlassen habt«, unterbrach ihn die Priorin unwirsch.
»Keiner schleicht nachts durch die Gänge, liebe Muhme. Geht Ihr nur getrost in Euer Bett. Bis die Klosterknechte ihren Rausch ausgeschlafen haben, kann es noch dauern. Ihr Atem dünstet einen ganzen Weinberg aus. Bis sie unsere Flucht bemerken, sind wir bereits über alle Berge. Und wer weiß, ob sie dann überhaupt reiten können? Außerdem werde ich sie um eines ihrer Pferde erleichtern, damit wir schneller vorwärtskommen als mit einem einzigen Pferd.«
Benedicta hörte gar nicht mehr, was Julian sagte, denn plötzlich legte sich die Trauer wie ein schweres schwarzes Tuch über ihr Herz. Wenn ich doch bloß Agnes mitnehmen könnte! Was ihr in den nächtlichen Träumen wie eine Offenbarung erschienen war, versetzte sie plötzlich in Angst und Schrecken. Ich kenne den Fechtmeister doch gar nicht, dachte sie verzweifelt. Wie kann ich seine Frau werden?
Hilfesuchend sah sie die Priorin an, als könne sie ihr mit einem Rat zur Seite stehen. Die aber war immer noch damit beschäftigt, die Spuren ihrer eigenen Tränen zu verwischen. Immer wieder fuhr sie sich mit dem Ärmel ihrer Kotte über das schmerzverzerrte Gesicht. Bei diesem erbarmungswürdigen Anblick verlor auch Benedicta jegliche Beherrschung.
»Ich weiß nicht, wie ich Euch das jemals danken soll«, schluchzte sie und warf sich der Priorin ungehemmt in die Arme. Sie klammerte sich an sie wie eine Ertrinkende, war Leonore doch die letzte Brücke zu einer Welt, die Benedicta für alle Zeiten hinter sich lassen musste. Sosehr sie diese Mauern stets gehasst hatte, sie hatten ihr auch eine gewisse Geborgenheit geschenkt.
»Seid meinem Neffen eine gute Frau, und erfreut ihn ab und an mit Euren köstlichen Lebkuchen, jetzt, da wir auf Eure Künste verzichten müssen«, raunte die Priorin, während sie sich sanft aus der Umklammerung befreite.
Benedicta versuchte zu lächeln, was ihr nicht wirklich gelang. Mit dem zu einem Grinsen verzogenen schiefen Mund sah sie noch unglücklicher aus.
»Ich verspreche es hoch und heilig«, erklärte Benedicta mit fester Stimme, als wolle sie sich selbst Mut zusprechen. »Ich werde ihm eine gute Frau sein.«
Plötzlich hörten sie draußen schleichende Schritte. Alle drei hielten die Luft an und starrten angstvoll zur Tür. Wenn sie jetzt aufgerissen wurde, waren sie verloren! Doch genauso plötzlich, wie die Schritte sich genähert hatten, entfernten sie sich wieder.
Der Fechtmeister fand als Erster die Sprache wieder. »Wenn tatsächlich jemand nachts durch die Gänge schleicht, breche ich doch lieber schnellstens auf. Nur eines noch, Muhme. Wenn Ihr Konstantin seht, dann sagt ihm, dass ich den Frevel begangen habe, eine Eurer Schwestern aus dem Kloster zu entführen, und wohl niemals mehr zurückkehren werde. Wie gern trüge ich Euch einen Gruß für ihn auf, aber niemand darf wissen, dass wir Euch die Flucht zu verdanken haben. Nicht einmal mein geliebter Bruder.«
Mit diesen Worten reichte er Benedicta die Hand. Ohne sich noch einmal umzuwenden, verließen sie gemeinsam die Amtszelle und eilten durch den Kreuzgang auf das Südtor zu.
Wie oft habe ich hier mit Agnes geplaudert, dachte sie wehmütig, kaum dass sie die vertrauten Mauern des Kreuzganges hinter sich gelassen hatten.
Doch da traten sie bereits Hand in Hand durch die eiserne Pforte ins Freie. In diesem Augenblick fühlte sich Benedicta dem Fechtmeister beinahe so nahe wie in ihren Träumen.
Seine Hände waren weich und warm, seine Stimme klang zärtlich, als er flüsterte: »Vertraut mir! Der Herr wird uns vergeben, dass wir unser beider Schwüre nicht halten konnten.«
Sie hörte gar nicht auf seine Worte, sondern nur auf den Klang seiner tiefen Stimme. Angenehme Schauer rieselten durch ihren Körper.
»Du bist endlich frei und wirst die Meine sein.« Seine Stimme klang wie eine sanfte Liebkosung.
Benedicta schickte einen staunenden Blick zum funkelnden Sternenhimmel hinauf. Es war alles so unwirklich. Der volle Mond, der Schrei der Käuzchen, die geöffnete Klosterpforte, durch die sie diese Mauern für immer hinter sich lassen würde … und der junge Fechtmeister, wie er im
Weitere Kostenlose Bücher