Die Lebküchnerin
es leider zurücklassen.«
Ohne mit der Wimper zu zucken, entledigte sich Benedicta ihrer Surkotte und wollte sich gerade das kratzende, ärmellose braune Kleid der Freundin über den Kopf ziehen, als sie innehielt.
»Aber du kannst doch nicht im Hemd zu deinem Bäcker kommen!«
Agnes lächelte. »Es hat sein Gutes, Köchin bei den heiligen Schwestern zu sein. Im Kloster bekommt unsereins genug zu essen, man lehrt uns so allerlei wie die vornehme Sprache der Schwestern, und man sorgt dafür, dass wir genügend saubere Kleidung haben. Ich besitze sogar drei Kleider, die ich alle mitgenommen habe.«
Der Stolz in Agnes’ Stimme war nicht zu überhören. Sie stand vom Boden auf und griff in ihr Bündel, um ein zweites Überkleid hervorzuholen, als ein schreckliches Heulen durch den Wald schallte. Agnes und Benedicta sahen einander ängstlich an. Da war es wieder zu hören!
»Ein Wolf!«, keuchte Agnes und rückte näher an die Freundin heran.
»Das ist kein Wolf!« Benedicta lauschte angestrengt.
»Was denn sonst? Du weißt doch, wie sich ein Rudel dieser Bestien im letzten kalten Winter bis nach Engelthal wagte.«
»Schon, aber das klingt nicht nach Wolfsgeheul. Es erinnert mich eher an die Hunde, wenn sie in der Abenddämmerung auf den Gehöften der Bauern so laut jaulen, dass es bis zum Kloster hinaufschallt.«
»Ein Hund?« Agnes sah sie ungläubig an. »Wie soll sich denn ein Hund in den Wald verirren?«
Statt Agnes zu antworten, ergriff sie deren Hand. »Komm mit!«, befahl sie und zog die Freundin zum Wald hinüber.
Agnes aber sperrte sich mit aller Kraft und befreite sich aus Benedictas Griff. »Um keinen Preis kehre ich in den düsteren Wald zurück. Die Bäume stehen so dicht beieinander, dass ihre Kronen das Licht des Mondes nicht durchlassen. Wir sind verloren. Und das alles, um von einem Wolf gefressen zu werden?«
Wieder heulte das Tier auf. »Es ist ein Hund, dem ein Leid widerfährt«, wiederholte Benedicta beharrlich.
Agnes stöhnte auf und rollte mit den Augen. »Und wenn es ein Hund wäre, warum soll ich mich für ein so unnützes Getier in Gefahr begeben? Ein Hund weniger ist ein wahrer Segen!«
Wütend funkelte Benedicta die Freundin an. »Es ist ein Lebewesen, und wenn ich schon nichts für Julian tun konnte – dem Tier zu helfen, davon hältst du mich nicht ab. Aber bleib du nur hier und warte auf mich. Ich gehe auch allein.«
Mit schnellem Schritt verließ Benedicta die Lichtung und stolperte geradewegs in den Wald hinein. Noch wies ihr der Mond den Weg, doch es wurde immer dunkler, bis sie auf eine andere Lichtung trat.
Aus dem Heulen war ein Wimmern geworden. Und da sah sie das Tier auch schon vor sich und trat voller Entsetzen zurück. Nach seiner Kleidung zu urteilen, war es einer der Klosterknechte, der mit einem Stock auf den Kopf eines Hundes eindrosch. Das Jaulen klang zum Gotterbarmen, und Benedicta zögerte keinen Wimpernschlag lang. Wutentbrannt sprang sie auf den Kerl zu und schrie ihn an. »Lasst das Tier in Ruhe!«
Aus verquollenen Augen starrte sie der Mann an. Erst entgeistert, dann eher belustigt. »Sieh mal einer an! Die entlaufene Schwester kommt freiwillig zurück. Das wird mir einen Batzen Geld einbringen.« Erneut hob er den Stock zum Schlag. »Aber erst werde ich dieses stinkende Vieh erschlagen. So wie sein Herr meinen treuen Gefährten erschlagen hat …« Doch dann schrie er auf vor Schmerz. Benedicta hatte ihn in ihrer Not blitzschnell in die Hand gebissen.
»Du Luder, du!«, brüllte der Knecht und schwang drohend den Stock. »Das wirst du mir büßen!«
Bevor er einen Schlag landen konnte, war ihm jemand in den Rücken gesprungen und prügelte kräftig auf ihn ein. Benedicta sah nur noch Agnes’ schwarzes Haar fliegen und nutzte den Schrecken des Kerls, um ihm den Stock aus der Hand zu reißen. Das war leichter als gedacht, denn der Mann besaß offensichtlich nicht besonders viel Kraft.
Vielleicht ist er noch berauscht, dachte Benedicta, während sie den Stock weit von sich warf. Nun ließ auch Agnes von ihm ab und forderte die Freundin lautstark auf, um ihr Leben zu rennen. Benedicta aber blieb wie angewurzelt stehen und warf dem jaulenden Bündel, das in der Erwartung des nächsten Schlags ängstlich auf dem Boden kauerte, einen forschenden Blick zu.
Statt loszulaufen, bückte sie sich und hockte sich neben das Tier. Es war ein brauner Hund mit einer kräftigen schwarzen Schnauze, der sie aus dunklen Augen traurig anblickte und den Kopf auf
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