Die Lebküchnerin
auf eine Burg zu seinem adligen Herrn und nicht nach Nürnberg in das Haus eines Bäckers.«
Benedicta seufzte auf. »Geh! Wir können dich nicht mitnehmen«, flüsterte sie dem Hund zu, der sie aufmerksam betrachtete und ihr dabei die Hand leckte.
»Entscheide dich. Der Hund oder das Haus des Bäckers Anselm Heller«, fuhr Agnes die Freundin schroff an.
Benedicta sah ein, dass sie keine andere Wahl hatte, als den Hund im Wald zurückzulassen. Seufzend glitt sie ein letztes Mal mit den Fingerspitzen über das weiche Fell des Tieres. »Dann lass uns rasch gehen und unseren Schlafplatz bei der Lichtung aufsuchen, bevor wir morgen weiterziehen. Ich kann diesen traurigen Blick nicht länger ertragen.«
Benedicta spürte, wie sich ihr bei ihren eigenen Worten die Kehle zuschnürte. Sollte sie wirklich schon wieder auf die Freundin hören und ein Lebewesen seinem Schicksal überlassen? Ach, er wird schon nach Hause finden, redete sie sich ihren Verrat an dem Tier schön, während sie den Blick abwandte.
»Dann komm schnell, bevor du es dir anders überlegst.« Agnes warf dem Hund einen grimmigen Blick zu, bevor sie die Freundin nicht eben zart bei der Hand nahm und mit sich fortzog.
Benedicta sah sich kein einziges Mal um. So sehr fürchtete sie sich davor, den traurigen Augen des Tieres nicht widerstehen zu können. Dafür wandte sich Agnes umso häufiger um, und schien erleichtert, dass der Hund ihnen nicht folgte.
24
Die Freundinnen kuschelten sich eng aneinander, um bis zum Morgengrauen unter der Eiche zu schlafen.
Agnes gähnte laut, doch Benedicta war hellwach. Kein Auge konnte sie zutun nach allem, was geschehen war.
»Gib es zu, du warst auch drauf und dran, das Tier mitzunehmen, oder?«, fragte sie in die Stille hinein.
»Niemals!«, erwiderte Agnes, aber an ihrem trotzigen Ton glaubte Benedicta zu erkennen, dass die Freundin sich etwas vormachte.
Hatte Agnes nicht gerade neulich erst ein aus dem Nest gefallenes Vogeljunges retten wollen und bitterlich geweint, als es ihr in der Hand gestorben war? Benedicta konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der traurige Hundeblick sie wirklich so kalt ließ, wie sie tat. Wahrscheinlich hatte sie nur Sorge, dass ihrem Verlobten dieses Mitbringsel aus dem Wald missfallen würde.
Und ein weiterer Gedanke ließ Benedicta nicht los. Wer war der unheimliche Fremde gewesen, und warum hatte er einen ihrer Verfolger niedergestreckt? Der Provinzial konnte ihn also nicht geschickt haben. Und warum hatte er Julian mitgenommen? Sicher nicht, um ihn zu töten, denn das hätte er doch mit Leichtigkeit auf der Lichtung erledigen können.
Und wieder kam ihr das Bild in den Sinn, wie grausam der Mann sein eigenes Pferd getötet hatte. Was hatte ihr Agnes da nur weismachen wollen? Dass gute Menschen ihre Tiere von den Schmerzen erlösten? Nein, das konnte nicht im Sinn des Herrn dort oben sein.
Benedictas Gedanken schweiften nun zu den Pferden ihres Vaters ab. Besonders innig dachte sie an den Zelter, den sie von allen am meisten geliebt hatte. Er war schneller gewesen als die anderen, und ihr Vater hatte ihn Pfeil genannt. Und ausgerechnet Pfeil war eines Tages nicht mit ihrem Vater von der Jagd zurückgekehrt.
Bei der Erinnerung an Pfeil schreckte Benedicta plötzlich hoch, denn wie durch einen Nebel hörte sie, wie ihr der Vater den Verlust zu erklären versucht hatte. Er hat sich ein Bein gebrochen. Ich musste ihn von seinen Qualen erlösen.
»Agnes, vielleicht war der Fremde gar nicht unser Feind«, raunte sie. »Ob er Julian retten wird? Was meinst du?« Die Antwort der Freundin war ein tiefes, lautes Schnarchen.
»Bitte, lieber Gott, lass Julian am Leben, und bestrafe ihn nicht dafür, dass er sich mit dieser Flucht versündigt hat. Wenn du einen Menschen bestrafen willst, dann mich«, betete sie leise, bevor sie sich wieder hinlegte und zu schlafen versuchte.
Doch Benedicta tat kein Auge zu, weil sie wie erstarrt den unbekannten Geräuschen des Waldes lauschte. Wie konnte Agnes nur so tief schlafen? Bei jedem Rascheln zuckte Benedicta zusammen. Um ihre Ängste zu besiegen, hielt sie laut Zwiesprache mit sich selbst.
»Ob das der Schrei einer Eule ist?«
»Bestimmt ist es der Schrei einer Eule«, gab sie sich selbst zur Antwort.
Auf diese Weise verloren die fremdartigen Töne nach und nach ihren Schrecken. Doch es kamen immer wieder neue hinzu, und das Spiel begann von vorn. Ein paarmal war ihr so unheimlich zumute, dass sie Agnes zu wecken
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