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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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rausstellen, genau wie die anderen Dinge, die wir entsorgten.
    Später, als Mrs Carron unten bei meinem Vater im Laden war, schlich ich ins Schlafzimmer.
    Ihre Kleider waren anders als die von meiner Mum, schimmernd und dünn. »In denen holt sie sich irgendwann den Tod«, hätte meine Mutter gesagt. Nicht ein Kleidungsstück von Mrs Carron war bequem oder warm. Hosen hatte sie keine, nur enge Röcke und Kleider. Ein Kleid fiel mir besonders ins Auge. Es hatte die Farbe von Rubinen und war aus Seide. Ich hielt es vor mich, so wie sie es mit der Bluse meiner Mutter getan hatte. Ich konnte Peter auf seiner Gitarre herumklimpern hören und Stimmen unten im Laden. Es war die Zeit, in der am meisten los war, nach Schulschluss, wenn die Kids kamen, um Süßigkeiten zu kaufen. Im Handumdrehen hatte ich meine Jeans und den Pullover ausgezogen.
    Nur mit der Unterhose bekleidet, sah ich groß und schwabbelig aus. Bald würde ich einen Büstenhalter brauchen. Mein Bauch wölbte sich leicht. Das Kleid wirkte geradezu scheußlich an mir und spannte an den falschen Stellen. Wie eine überreife Erdbeere kam ich mir darin vor. Rot war eindeutig nicht meine Farbe. Sie machte mich blass, als wäre alles Blut aus mir gewichen. Ich drückte die Ansätze meiner Brüste zusammen und fragte mich, was für eine Art Frau ich einmal werden würde. Meine Mutter hatte weder grünen Lidschatten noch rosa Lippenstift getragen. Sie roch nie süßlich. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass Peter nicht mehr auf der Gitarre spielte, dass schwere Schritte in meine Richtung kamen. Hastig versuchte ich, das enge Kleid auszuziehen, doch da öffnete er auch schon die Tür.
    »Was machst du da?«, fragte er und lief rosa an, als er mich mit nacktem Oberkörper sah.
    »Nichts.« Ich wusste nur, dass Dad Mrs Carron liebte und ich auch geliebt werden wollte. Vielleicht käme ich hinter ihr Geheimnis, wenn ich ihre Kleider trug und mich auch liebenswert machte.
    »Bist du nicht zu alt, um dich zu verkleiden?«, schnaubte Peter. »Du blöde Kuh.« Angewidert knallte er die Tür hinter sich zu.
    Ich schlüpfte aus dem rubinroten Kleid, und so schnell ich konnte, zog ich meine eigenen Sachen wieder an. Peter hatte recht. Für dieses Spiel war ich zu alt. Ich war durchgeknallt und eine blöde Kuh, und niemand konnte mich leiden. Der einzige Junge, dem ich jemals gefallen hatte, war Alfie, der Klassentrottel, der pausenlos grinste und ein pickeliges Gesicht hatte. Er glotzte mich im Unterricht ständig an und kratzte sich an den Beinen. Die anderen Mädchen wisperten dann immer: »Guck mal, dein Freund starrt dich an.« Einmal versetzte ich einem Mädchen auf dem Schulhof deshalb einen solchen Fausthieb, dass ihre Nase zu bluten begann, aber das war kurz nach Mums Tod, daher sagten die Lehrer nichts. Seitdem hat mich niemand mehr behelligt. Die anderen blieben auf Distanz. Ohne meine Mutter fühlte ich mich sehr einsam.
    In jener Nacht hatte ich einen Albtraum. Ich war in rote Seide gewickelt, und mir war so heiß, dass meine Haut brannte. Meine Mutter kam und versuchte verzweifelt, mir die Arme zu kühlen, auf denen sich Blasen gebildet hatten. Mum legte mir einen feuchten Schwamm in den Nacken. Ich spürte, wie sie mich festhielt, fühlte mich in ihrer Liebe geborgen und weinte, als ich feststellte, dass die tröstlichen Arme Mrs Carron gehörten. Wütend riss ich mich von ihr los, voller Scham und Schuldgefühle, weil ich meine Mutter betrogen hatte.
    Mrs Carron versuchte mich zu beruhigen. »Ist doch nur ein böser Traum, Rose«, sagte sie.
    Doch ich stieß sie fort, als stünde sie in Flammen, als könnte ihre Umarmung mich töten.
     
    Ich gebe es nicht gern zu, Jason, aber auch treue Menschen können manchmal Schlimmes tun. Die gleiche Leidenschaft, die sie zu guten Gefährten macht, lässt sie zu eifersüchtigen Liebenden werden. Einige der Dinge, die du erfahren sollst, weil sie zu meiner Geschichte gehören, sind nicht schön. Es ist nicht meine Schuld, dass meine Mum gestorben ist oder dass Mrs Carron versucht hat, sie zu ersetzen. Natürlich habe ich diese Frau gehasst. Selbst mit ihr im selben Raum zu sein machte mich kribbelig und ging mir unter die Haut, als wäre da ein Juckreiz. Ich verbrachte immer mehr Zeit in meinem Zimmer, aber wenn ich bei ihr war, studierte ich die Frau, die den Platz meiner Mutter eingenommen hatte. Ich wollte wissen, woher ihre Macht kam.
    Eines Samstagmorgens war Mrs Carron nicht da. Ich schaute mich im Laden und im Lager

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