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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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ich spürte, dass sie noch mehr auf dem Herzen hatte.
    »Sie möchte, dass du mit uns kommst, Rose. Nächste Woche. Deine Mum möchte mit dir reden.«
     
    Die ganze Woche über dachte ich an den kommenden Samstag – ich sehnte mich nach diesem Tag und fürchtete ihn zugleich. Das Okkulte kannte ich bisher nur von der grell bemalten Bude unten am Hafen, in der eine Zigeunerin namens Margo die Zukunft las. Doch als wir an dem Gemeindehaus ankamen, war nichts grell bemalt oder glitzernd. Es gab auch keine Kristallkugel, sondern nur einen Raum voll von alten Damen, die auf Stühlen saßen, Tee tranken und plauderten. Das Medium hieß Maureen. Auch an ihr war nichts Besonderes, sodass ich mich fragte, wie so jemand überhaupt irgendeine Art von Macht besitzen könne. Sie sah aus wie eine ganz normale Großmutter. Doch dann stellte sie sich in die Mitte der Bühne, legte die Fingerspitzen an die Schläfen und fing in ihrem einfachen Baumwollkleid an zu schwanken. Die Anwesenden verstummten.
    »Gibt es hier jemanden, der in der Geisterwelt eine Katze namens Suki hat?«, begann Maureen wie eine Lehrerin, die fragt, ob jemand in der Klasse die richtige Antwort weiß.
    Rita zeigte auf. »Hier!«
    »Ist Suki eine wunderschöne Katze? Mit schwarzem Fell?«
    »Richtig.« Rita strahlte.
    »Sie wurde sehr geliebt, nicht wahr?«
    »O ja.« Rita betupfte ein Auge.
    »Aber sie sagt, sie wäre ersetzt worden.«
    Rita verlagerte ihr Gewicht. »Ich habe jetzt einen Wellensittich.«
    »Da ist noch jemand bei Suki. Sie möchte mit dem Mädchen an Ihrer Seite sprechen.«
    Maureen fixierte mich. Ich fing an zu frösteln.
    »Hallo, Kleine, ich habe hier jemanden, der dich kennt. Sie sagt, dass sie dich sehr vermisst.« Tränen traten mir in die Augen. Ich zwinkerte sie fort. »Sie sagt, sie weiß, wie schwer das alles für dich war, aber sie wacht über dich und vergewissert sich regelmäßig, dass es dir gut geht.« Mit einem Mal umklammerte Maureen ihren Hals. »Da ist ein Schmerz … das Schlucken fällt mir schwer. Mein Gott, was hat sie denn?«
    Rita sah mich von der Seite an, sagte jedoch nichts. Meine Stimme war so ruhig, dass es mich erstaunte. »Sie hat sich umgebracht«, erklärte ich. »Sie hat meinen Dad mit einer anderen Frau erwischt und kurz darauf jede Menge Tabletten geschluckt.«
    Maureen blinzelte. Die anderen fingen an zu tuscheln. Ich sprang auf und rannte hinaus, als wäre der Teufel hinter mir her.

13.
     
    Eintrag in mein schwarzes Buch
     
    Heute kommst du mich besuchen, Jason.
    Du kommst nicht oft, nur einmal im Monat, deshalb ist meine Aufregung eine Seltenheit für mich. Nein, das ist das falsche Wort. Anspannung wäre besser.
    Ich weiß, dass es dir schwerfällt, mich hier zu sehen, aber du lässt keinen Besuchstermin aus. Ich würde gern fragen, warum und ob du dich vielleicht schuldig fühlst, aber das wage ich nicht.
    Als sie mich festgenommen und ins Untersuchungsgefängnis gebracht haben, dachte ich, ich müsste mit allem allein fertigwerden. Aber du hast mich eines Besseren belehrt, du bist zu mir zurückgekommen. Du bist treuer gewesen, als ich es für möglich gehalten hätte.
    Du versuchst dir das, was geschehen ist, nicht zu erklären. Du analysierst es nicht. Es wäre zu schwierig, nicht wahr? Im Gerichtssaal, als der Staatsanwalt auf Mord plädierte, saßest du mit gesenktem Kopf da. Nicht ein einziges Mal hast du mich bezichtigt, nicht einmal mit deinem Blick. Als der Sprecher der Geschworenen verkündete, sie hätten mich nicht des Mordes für schuldig befunden, wirktest du nicht sonderlich überrascht. Du nicktest nur, als wolltest du sagen: »Natürlich ist sie keine Mörderin.«
    Nach der Nacht, in der Luke starb, hast du mich nie gefragt.
    Mich quält es, darüber nachzudenken. Mir vorzustellen, dass ich ihn nie mehr halten werde. Nie mehr den süßen Duft des Babypuders auf seiner Haut riechen werde. Trotzdem erwarten sie von mir, dass ich mit einer Fremden darüber rede. Das muss ich tun, wenn ich freikommen will. Cate Austin möchte, dass ich bereue, dass ich die »Verantwortung übernehme«, wie die Experten es nennen, und zugebe, dass ich unzurechnungsfähig war.
    Aber trifft das denn zu? War ich krank? Bin ich jetzt geheilt? Und falls ich geheilt bin, wie ist es dazu gekommen? Wie Ritas armer Wellensittich bin ich eingesperrt, seit nunmehr fast vier Jahren. Niemand hat mich je behandelt, ich habe keine Therapie bekommen, mit Ausnahme der Viertelstunde, die ein Psychologe in jedem neuen

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