Die leere Wiege: Roman (German Edition)
entschied. In dem Gutachten wurde Rose als »unauffällige Frau mit schwerem Körperbau« beschrieben. »Hochgewachsen, braune Augen, dunkles Haar.« Rose Wilks habe sämtliche Fragen beantwortet.
Zusammenfassend kam der Psychiater zu dem Schluss, »das Feuer, das zu dem tragischen Tod von Luke Hatcher führte«, sei »auf den depressiven Zustand der Angeklagten« zurückzuführen. »Und auf ihre Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln, die ihre Reaktion verzögerten, nachdem sie den Teppich mit ihrer Zigarette in Brand gesteckt hatte.« Seine Empfehlung lautete, das Urteil außer Kraft zu setzen, da Rose Wilks nicht in »eine Vollzugsanstalt gehört«.
Die Tür öffnete sich. Eine Hand mit einem Becher Kaffee erschien und schwebte in der Luft.
»Hallo, Paul.«
Er steckte den Kopf herein. »Woher wussten Sie, dass ich es bin?« Er trat ein und reichte Cate den Becher.
Der Kaffee war stark und gesüßt. Cate trank ihn wie ein Lebenselixier.
Paul hockte sich auf ihre Schreibtischkante und warf einen Blick auf die vier bündig liegenden Papierstapel. »Sind Sie irgendwie zwanghaft veranlagt?«
»Absolut. Bei mir muss immer alles ordentlich sein.«
»Oh, da kann ich mitreden. Sie sollten mal die Unterwäsche in meiner Kommode sehen. Die Sachen sind nach Farben sortiert.«
»Wirklich?«
»Nein, nicht wirklich. Ich trage gar keine Unterwäsche.«
»Lügner.« Cate versetzte ihm einen Klaps auf den Schenkel.
»Okay, aber was sind das denn nun für Stapel? Männer, die mit Ihnen ausgehen möchten? Männer, die Sie mögen? Und Männer, die Sie nicht mit der Kneifzange anfassen würden?«
»Paul, bitte! Es ist die Akte von Rose Wilks.«
»Gibt’s irgendwelche schlüpfrigen Details?«
»Das hier ist das psychiatrische Gutachten, falls man es so nennen will. Darin geht es vor allem darum, wie Rose aussieht, um ihre Haare, ihr Gesicht und ihre Figur. Da hat jemand einen Doktortitel und meint, deshalb kann er den letzten Humbug schreiben.«
»Sie sollen sich nicht alles so sehr zu Herzen nehmen, Cate. Wie oft muss ich das denn noch sagen?« Paul griff nach einem Stapel. An die oberste Seite war ein Zeitungsausschnitt geheftet, mit ausgefransten Rändern, als hätte jemand ihn ausgerissen. Mit Kugelschreiber hatte jemand darauf » East Anglia Times« notiert.
Bei einem Hausbrand im Clifton Drive, Ipswich, starb gestern ein Säugling. Die Mutter konnte durch das Schlafzimmerfenster gerettet werden. Die Feuerwehr wurde um 4 . 20 Uhr morgens gerufen. Das Feuer war im ersten Stock des Hauses ausgebrochen und konnte von der Feuerwehr eingedämmt werden. Doch als die Männer das Zimmer des Säuglings erreichten, war der kleine Junge bereits tot. Gegen 6.00 Uhr morgens war der Einsatz beendet.
Paul legte die Seite ab. »Traurige Geschichte. Bleiben Sie trotzdem distanziert, Cate. Schließlich ist es nur ein Job.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, das weiß ich selbst.«
Allerdings war das leichter gesagt als getan, denn wenn sie vom Tod eines Kindes hörte, musste sie sofort an Amelia denken. Cate verscheuchte das Bild ihrer Tochter wieder. Sie brauchte noch einen Kaffee, ehe sie Rose Wilks zum zweiten Mal traf.
—
Rose wartete in dem Klassenzimmer, das seit ihrem letzten Treffen nicht geputzt worden war. Der alte Unterrichtsplan hing noch an der Wand, und auf dem Boden lagen Zigarettenkippen. Kate setzte sich Rose gegenüber und zog ihren Notizblock hervor.
»Heute habe ich endlich Ihre Akte bekommen, Rose. Aber bisher habe ich nur das psychiatrische Gutachten lesen können.«
Rose biss sich auf die Lippen und schaute aus dem Fenster. »Der Psychiater wollte, dass ich sage, ich hätte das Feuer vorsätzlich gelegt. Er betonte, dass er das verstehen könne. Als Folge meiner postnatalen Depression. Aber ich konnte nicht lügen. Ich hätte Luke nie etwas angetan.«
»Trotzdem ist Luke gestorben, Rose. Deshalb wurden Sie angeklagt und verurteilt.«
»Sie haben doch auch ein Kind. Glauben Sie wirklich, eine normale Frau könnte ein Baby töten?«
»Ja«, entgegnete Cate. »Wenn sie krank ist oder süchtig. Oder depressiv.«
»Auch dann geht es gegen ihre Natur. Die Frauen, die Kinder töten, sind doch abartig. Das wissen Sie so gut wie ich, schließlich sind Sie auch Mutter. Wir sind programmiert, Kinder zu beschützen und für sie zu sorgen.«
»Ich glaube, ganz so einfach ist das nicht.«
Rose fixierte Cate. »Frauen, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, habe ich nie verstanden.
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