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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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morgen.«
    »Möchtest du wirklich, dass ich gehe?« Julie wirkte unsicher.
    »Ja«, entgegnete Cate knapp und kämpfte gegen die aufsteigende Eifersucht an. Dann hielt sie ihre Tochter fest umschlungen und flüsterte ihr tausend Entschuldigungen ins Haar.

15.
     
    Eintrag in mein schwarzes Buch
     
    Von Tante Rita habe ich eine Menge gelernt. Vor allem über den Tod. Anders als die meisten Menschen, fürchtete sie ihn nicht. Selbst als der Arzt ihr sagte, sie habe Lungenkrebs, hatte sie keine Angst. Ihre einzige Sorge war, was nach ihrem Tod aus mir werden würde. Es war in dem Sommer, als ich die Mittlere Reife machte und dabei so gut abschnitt, dass ich in die Oberstufe gehen konnte. Die Naturwissenschaften waren meine Stärke, insbesondere Chemie. Mr Wilson sagte, für dieses Fach hätte ich eine natürliche Begabung. Ich mochte vor allem die Versuche und hantierte gern mit dem Bunsenbrenner. Wenn ich ihn anzündete, musste ich das Luftloch zuhalten. Wenn ich es öffnete, brannte der Gasgeruch in meiner Nase, und ich sah zu, wie sich die Flamme von Gelb zu Blau färbte. Ich hatte Chemie zu einem meiner Hauptfächer gewählt, wollte mein Abitur machen und anschließend Pharmazie studieren. Ich wollte den Menschen helfen, gesund zu werden.
    Tante Rita lag im Sterben. Wir fürchteten uns vor ihren Hustenanfällen, dem endlosen Keuchen und Japsen. Sie behauptete, nur Zigaretten könnten ihre Lunge reinigen. Die Ärzte redeten ihr gut zu, das Rauchen aufzugeben, doch was sollte das noch nützen? Tante Rita war der Ansicht, Rauchen sei ein Vergnügen und von denen seien ihr nur noch wenige geblieben. Doch dabei streichelte sie meine Hand, und ihr Blick sagte, dass ich zu diesen Vergnügen gehörte.
    Rita wollte, dass ich studierte, und war zu dem Schluss gekommen, dass es dazu nur eine einzige Möglichkeit gab: Ich sollte nach Lowestoft zurückkehren, mein Abitur machen und währenddessen bei meinem Vater wohnen. Jedes Mal, wenn sie am Telefon flüsterte und flehend klang, wusste ich, dass mein Vater am anderen Ende war.
    »Sie ist immer noch deine Tochter«, zischte sie. »Wenn du wüsstest, wie gescheit sie ist und was die Lehrer über sie sagen. Sie soll studieren und etwas aus sich machen können.« Ein anderes Mal hörte ich sie sagen: »Dass sie nach meinem Tod ganz allein ist, macht dir nichts aus?« Und dann, bei ihrem letzten Gespräch: »Schande über dich. Ihre Mutter wird sich im Grab umdrehen.«
    Ich war froh, als sie den Hörer auf die Gabel knallte. Ich wollte ohnehin nicht auf meinen Vater angewiesen sein.
    Als Tante Rita das Atmen zu schwer fiel, wurde sie in das Krankenhaus von Ipswich eingeliefert und an ein Sauerstoffgerät angeschlossen. Nachts war ich jetzt allein in ihrem Haus, aber jeden Morgen nahm ich den Bus nach Ipswich, mit einer zusammengerollten neuen Illustrierten in der Jackentasche. Rita wohnte in einer Sozialwohnung, und obwohl die Wohlfahrt die Miete für den Monat, in dem sie im Krankenhaus lag, beglichen hatte, wusste ich, dass sie mich bald heraushaben wollten. Tante Rita würde nie mehr nach Hause kommen, aber nach ihrem Tod hätte ich kein Recht mehr, dort wohnen zu bleiben, und mein Vater wollte mich nicht zurückhaben.
    Es war ein langer Sommer. Ich war sechzehn, verbrachte jeden Tag an Ritas Krankenbett und sah zu, wie sie mir entglitt. Die Schwestern arbeiteten um mich herum, stellten mir wässrigen Kakao hin und nahmen ihn wieder mit, wenn er kalt geworden war. Ans Essen dachte ich nicht. Doch abends kam Annie mich besuchen und brachte mir einen Teller mit dem, was sie zu Hause gekocht hatte: Kotelett und Möhren, Leber und Kartoffelpüree. Ich bekam kaum etwas herunter, aber Annie beobachtete mich wie ein Luchs und schnalzte missbilligend mit der Zunge, wenn ich die Gabel zu lange sinken ließ. Sie fragte nie, wie Tante Rita sich fühle. Sie wusste, es war nur noch eine Frage der Zeit. Stattdessen tätschelte sie mir die Hand und wollte wissen, wie es mir gehe.
    Annie hatte Rita schon gekannt, als die beiden noch Mädchen waren, trotzdem kam sie nie ins Krankenhaus, um ihre Freundin zu besuchen. Sie sagte, ihr sei es lieber, sich Rita vorzustellen, wie sie noch in ihrem Haus gelebt hatte, und so wolle sie sie auch in Erinnerung behalten. Erst später erfuhr ich den wahren Grund.
     
    Als ich das Krankenzimmer betrat, kamen aus Tante Ritas Rachen rasselnde Laute, und ich wusste, dass es noch schlechter als sonst um sie stand. Also drückte ich auf den roten Klingelknopf,

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