Die leere Wiege: Roman (German Edition)
Meine Füße kribbelten, als machten sie sich schon zur Flucht bereit. Ich schlug die Beine übereinander, stellte sie wieder nebeneinander hin und stand auf.
»Ich sollte jetzt besser gehen.«
Ich hob meine Jacke vom Fußboden auf, tastete nach den Schlüsseln in der Tasche. Im Nu war ich an der Tür, zog den Riegel zurück und wollte hinausschlüpfen, um mich in Sicherheit zu bringen. Ich wandte mich noch einmal um, um mich zu verabschieden, doch auf einmal standest du direkt vor mir, viel zu nahe. Ich wich zurück. Deine Hand schoss vor und schlug die Tür zu.
»Ich will nicht, dass du gehst.«
Du kamst noch näher. Ich roch deinen Atem, schmeckte ihn im Mund. Ich spürte deine Hitze, und meine Körpertemperatur schnellte in die Höhe. Du küsstest mich stürmisch auf den Mund, und dann spürte ich deine Zunge, die sich immer schneller bewegte, während deine Hände über meinen Nacken fuhren, über meinen Rücken und unter meine Bluse glitten. Mir war, als fielst du gegen mich und würdest mich zerdrücken, doch ich war froh und nahm mir kaum Zeit, um nach Luft zu schnappen.
Dann ließest du mich los, richtetest dich auf und öffnetest die Tür. Das hieß, dass ich gehen konnte. Es war vorbei. Du wirktest bedrückt und wichst meinem Blick aus.
»Sollen wir uns morgen wieder treffen?«, bettelte ich.
Du zucktest nur mit den Schultern und gabst mir einen Schubs. Gleich darauf stand ich im Flur vor der geschlossenen Tür.
Am nächsten Tag kamst du nicht zur Arbeit. Zuerst dachte ich, du hättest die Schicht mit jemandem getauscht oder hättest einen schweren Kater und könntest nicht arbeiten, doch als du am Tag darauf wieder nicht erschienst, wusste ich, dass irgendetwas schiefgelaufen war. Ich hatte dich verloren. Hatte meine Chance verspielt. Du warst fortgegangen, hattest mich verlassen. Mein Schicksal war es, allein zu sein.
In der Küche machte ich plötzlich lauter Fehler, schnitt mir in den Finger, gab Fleischstücke in die vegetarischen Gerichte.
Irgendwann riss dem Küchenchef der Geduldsfaden. »Herrgott, Rose, was ist nur mit dir los? Seit wann stellst du dich so trottelig an?«
Ich knabberte an einem Fingernagel.
»Verdammt noch mal!«, schrie er und riss mir die Hand vom Mund. »Verschwinde und komm erst zurück, wenn du wieder klar denken kannst.«
Ich verließ die Küche und stürzte durch die Empfangshalle. Am Tresen standen neue Gäste, und die Empfangsdame reichte einem Mann im Frack gerade den Zimmerschlüssel. Ich schlüpfte durch die Tür, die zum Dienstbotentrakt führte. Unter meinen Sohlen knisterte der Nylonteppich. Eine Zimmertür stand offen. In dem Raum lehnten sich zwei Kellnerinnen aus dem Fenster, sie rauchten und lachten. In der Gemeinschaftsküche saß jemand und aß Müsli, aber du warst es nicht.
Die Tür zu deinem Zimmer war geschlossen. Ich blieb davor stehen und lauschte in die Stille. Dann lehnte ich die Stirn an die Tür und klopfte leise, ohne auf eine Antwort zu hoffen. Nichts regte sich. Panik stieg in mir auf, denn ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.
Ich klopfte lauter, hämmerte im Takt meines Herzschlags mit der Faust an die Tür.
»Jason? Jason? Bitte, mach auf.«
Auf dem Flur öffneten sich ein paar Türen, aber ich konnte nicht aufhören. Meine Stimme wurde lauter und lauter.
Dann wurde die Tür aufgerissen. Um ein Haar wäre ich ins Zimmer getaumelt. Du standst vor mir, nur mit einem Handtuch bekleidet, das du dir um die Hüften geschlungen hattest, und wirktest schlaftrunken. »Rose, was soll das? Brennt’s irgendwo?«
Ich drängte mich an dir vorbei, hinein in die Dunkelheit. Ich zitterte.
»Es ist alles in Ordnung«, riefst du den anderen im Flur zu. Dann machtest du die Tür zu und drehtest dich zu mir um.
»Was ist denn los?«
Ich stand da und versuchte, meinen Atem zu kontrollieren. »Nichts. Es tut mir leid.«
Schläfrig wanktest du zum Bett zurück und ließest das Handtuch fallen, ehe du unter die Decke schlüpftest, die du dir bis zum Kinn hochzogst, und gähntest. »Mann, geht’s mir schlecht. Bin erst um fünf ins Bett gekommen.«
Die Augen fielen dir zu. Im Zimmer war es dämmrig und warm. Ein Kokon, der uns einhüllte. Ich trat an dein Bett, kniete mich daneben und neigte das Gesicht ganz dicht an deins.
»Ich dachte, du wärst fortgegangen. Du bist nicht zur Arbeit gekommen.«
Du hieltest die Augen geschlossen. »Na und? Ich werde allen sagen, dass ich krank war.«
»Was ist denn der wahre Grund?«
»Ich war
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