Die leere Wiege: Roman (German Edition)
lassen. Du trugst keinen Ehering.
»Was machen Sie hier in diesem gottverlassenen Ort?«
»Ich arbeite in der Küche.«
»Ich meine die Stadt, nicht das Hotel.«
»Ach, Felixstowe ist gar nicht so schlecht.«
»Es ist ein elendes Kaff.« Auf deiner Stirn pochte eine Ader.
»Woher kommen Sie?«
»Aus Newcastle.«
Ich nippte an meinem Apfelwein. »Und weshalb sind Sie hier?« Ich studierte dein markantes Gesicht, den hochmütigen Bogen deiner Nase.
»Wegen meiner Frau.«
Der kalte Apfelwein wurde wie Eis in meinem Magen, denn damit hatte ich nicht gerechnet.
Du sahst mich an, aufmerksamer als vorher. Schon damals warst du es gewohnt, Frauen zu enttäuschen. Ein halbes Lächeln umspielte deine Lippen, denn du musst erkannt haben, wie niedergeschmettert ich war.
»Sie ist Tänzerin. Aber jetzt tanzt sie mit einem anderen.«
»Das tut mir leid.«
»Mir auch. Der Scheißkerl hat keine Zeit vergeudet. Vor drei Monaten erst sind wir hergezogen, und jetzt wohnt sie schon bei ihm.« Du schenktest dir den Rest aus einer Weinflasche in ein blitzblankes Glas und trankst es mit einem Schluck leer. »Dieses Miststück.«
Du warst dermaßen verletzt, dein Schmerz war noch so frisch, dass ich mit dir litt. Am liebsten hätte ich dir eine Hand auf die Brust gelegt und gesagt, dass dein Herz wieder heilt. Wer wusste das besser als ich? Aber ich schwieg.
Ich leerte mein Glas, nahm meine Jacke und ging.
Am nächsten Tag arbeitete ein schmieriger Typ namens Simon an der Bar. Meine Schicht zog sich wie Kaugummi. Doch am Tag darauf kam eine der Kellnerinnen um die Mittagszeit in die Küche getänzelt – Melissa oder Kate, genau weiß ich es nicht mehr. Mit wippendem Pferdeschwanz blieb sie bei mir stehen, und ich war ausnahmsweise einmal froh über ihr Geplapper.
»Der schöne Blonde ist wieder hinter der Bar. Ich dachte, ich gefalle ihm, aber als ich einen Schluck Wodka wollte, hat er gesagt, ich soll dafür zahlen. Dabei könnte ich wetten, dass er sich heimlich selbst bedient.«
Nach Schichtende arbeitete ich einfach weiter und wartete darauf, dass es in der Bar ruhiger wurde. Als ich hineinkam, warst du gerade dabei, die Theke abzuwischen. Du schautest auf, ohne dir ein Lächeln abzuringen. Dafür war ich dir dankbar.
»Möchten Sie einen Schluck?«, fragtest du.
Ich nickte und sah zu, wie du zwei Gläser aus einer offenen Weinflasche fülltest. Normalerweise trank ich keinen Wein.
»Rosenrot.« Beim Sprechen schobst du mir den Stiel des Glases zwischen die Finger. Die Spitze deines Daumens berührte dabei meine Hand. »Mein Name ist übrigens Jason.«
»Prost, Jason.« Ich setzte mein Glas an und trank. »Was haben Sie gestern gemacht? An Ihrem freien Tag.«
Du hobst die Brauen. »Führen Sie über mich Buch?«
»Vielleicht. Ich habe mich gefragt, was Sie in diesem elenden Kaff mit sich angefangen haben.«
»Nicht viel. Ich habe Musik gehört. Und geschlafen.«
»Man kann hier einiges unternehmen.«
»Ach was?«
»Soll ich es Ihnen zeigen? Wenn Sie das nächste Mal freihaben?«
Es war März. Seit einer Woche hatte es Tag für Tag geregnet. Grauer Nebel hüllte Felixstowe ein. Ich nahm dich mit zum Strand. Wir betrachteten das aufgewühlte Meer und schmeckten das Salz auf den Lippen. Mit gesenktem Kopf, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, erzähltest du mir von Emma, deiner Exfrau. Da wusste ich noch nicht, welche Rolle sie einmal in meinem Leben spielen würde.
Du sagtest, sie sei eine Schönheit, und pfiffst durch die Zähne, als hättest du gerade an einen Vollblüter gedacht, den du beim Rennen gesehen hattest. Was Männer und schöne Frauen betraf, kannte ich mich aus. Ich hatte gesehen, wie eine von ihnen mir meinen Vater geraubt hatte. Mrs Carrons Schönheit kam aus Flaschen und setzte sich aus Schminke, Parfum und Wasserstoff zusammen, außerdem aus Seide, in die sie ihren Körper hüllte. Die Schönheit meiner Mutter war zu zart gewesen, um meinen Vater halten zu können. Sie war zu blass und distanziert gewesen.
Um unsere Hände zu wärmen, kauften wir an einem Kiosk Kaffee und hielten das Gesicht in den Dampf. Es war, als hätte der Frühling vergessen, dass seine Zeit gekommen war. Ich ging in das Toilettenhäuschen, in dem es noch kälter war als draußen, wusch mir die Hände kurz in dem eiskalten Wasser und bespritzte den Spiegel, als ich die Finger zum Trocknen schüttelte. Mein Blick fiel auf mein Spiegelbild, und ich studierte mein Gesicht.
Nein, ich war nicht
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