Die leere Wiege: Roman (German Edition)
es sich versehen, wird er herumlaufen und Fußball spielen.«
»Hoffentlich!«
Ich kannte den Ausdruck in deinen Augen, denn da war der gleiche unverhüllte Schmerz wie damals, als ich dich kennenlernte und Emma dich gerade verlassen hatte. Ich wusste, dass ich für uns beide stark sein musste. Die Schwester trat an ein anderes Bettchen.
»Er wird gesund werden«, sagte ich. »Er ist in guten Händen.«
Du konntest deinen Blick nicht von unserem Jungen lösen und streicheltest seinen winzigen Arm.
»Kommst du zu Hause klar?«, fragte ich. Seit wir zusammenlebten, hatte ich immer gekocht, geputzt und die Rechnungen bezahlt.
»Der Kühlschrank ist fast leer. Aber in den ersten Tagen können wir uns ja was kommen lassen.«
»Nicht wir, Jason. Ich muss noch eine Weile im Krankenhaus bleiben.«
»Ja, natürlich. Am besten, du hörst gar nicht auf das, was ich sage.«
Ich hauchte dir einen Kuss auf die Wange und strich dir eine rotgoldene Locke hinter das Ohr. Innerhalb eines Jahres war ich dein Halt geworden. Du warst bei mir eingezogen, und wir waren zusammengeblieben. Ich hatte eine Rolle eingenommen, war nun deine Geliebte, Freundin und Vertraute geworden. Dass du mich nicht liebtest, war nicht weiter wichtig. Du brauchtest mich.
An meine Rückkehr in unsere Wohnung konnte ich nicht denken. Meine ganze Welt, der ganze Sinn meines Lebens, befand sich in einem Brutkasten, der die Wärme konstant hielt. Joels Herzschlag wurde überprüft, die Schwester behielt ihn im Auge, aber er lag allein in diesem Kasten und kämpfte um sein winziges Leben.
»Wenn ich doch nur nicht so grob gewesen wäre«, sagtest du mit gesenktem Kopf. »Es ist alles meine Schuld.«
Du wolltest Vergebung. Zum ersten Mal hatte das Leid in deinem Blick etwas mit mir zu tun statt mit Emma. Ich begriff, dass sich etwas verändert hatte zwischen dir und mir, zwischen dir und ihr. Wie traurig, dass es ein krankes Kind gebraucht hatte, um dich von ihr zu befreien.
Du sagtest: »Wenn er stirbt, werde ich mir das nie verzeihen.«
Ich legte dir eine Hand auf den Kopf. Deine Locken wanden sich um meine Finger. Ich zog dich an mich, und du sacktest an meine Brust. Ein erwachsener Mann, der wieder zu einem kleinen Jungen wurde und weinte, während ich dich an mich drückte.
Dann sagtest du: »Ich wünschte, ich könnte dich lieben, Rose.«
Ich erstarrte, denn das zu hören tat mir noch immer weh.
Du befreitest dich aus meinen Armen und schautest wieder auf unser schlafendes Kind. »Doch ihn werde ich lieben. Mehr, als ich jemals einen Menschen geliebt habe.«
Du gingst, denn du hattest Hunger, und im Krankenhaus wurden nur die Patienten mit Essen versorgt. Wie in den meisten Kliniken wurden auch hier Mahlzeiten angeboten, die eher für Kinder geeignet waren und zu Kinderzeiten gebracht wurden. Abendessen gab es um halb fünf. Man reichte es mir auf einem grauen Plastiktablett. Neben dem Teller stand ein durchsichtiger Becher mit drei Tabletten. Sie waren die einzigen Farbkleckse, bunt wie Smarties. Ohne nachzudenken, schluckte ich sie mit lauwarmem Wasser und gab der Schwester den Becher zurück. Hochzufrieden verließ sie das Zimmer.
Ich betrachtete mein Essen, einen abstoßenden beige-braunen Brei mit etwas Weißem darin. Zerkochte Kartoffeln in Minzsoße, eine bleichsüchtige Scheibe Brot und eine Portion Margarine im Plastiknapf. In einer kleinen Schale zitterte dunkelroter Wackelpudding unter einem Klecks Sahne. Nahrung für Kranke. Aber ich war ja auch krank. Nur dass meine Krankheit vorwiegend innerlich war. Ich war krank vor Angst, denn ich bangte um das Leben meines kleinen Jungen.
Ich spürte, dass Rita und meine Mutter über mich wachten, und schickte ihnen ein Gebet. Bitte macht, dass er gesund wird .
Ich konnte nur an Joel denken. Den größten Teil des Tages hatten wir auf der Intensivstation verbracht, unser Baby angeschaut und es mit einer Spezialflasche gefüttert. Zwischendurch hatte ich mich von Daisy melken lassen. Doch jetzt warst du fort, und ich lag wieder in meinem Krankenzimmer und hasste jede Minute, die ich nicht bei meinem Jungen sein konnte.
Auf dem Flur hörte ich fröhliche Stimmen. Sie kamen mir seltsam vor, diese Stimmen, die mit einem gesunden Baby säuselten und gurrten. Es war, als hörte ich Ausländern zu. Ich dachte an die Mütter, umringt von Blumen und Glückwunschkarten, wohingegen ich weder das eine noch das andere bekommen hatte. Die Geburt eines kranken Babys wird nicht gefeiert, deshalb lag ich
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