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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marthens
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dreien wünschte, dass wir Robert heil und gesund aus dem Lager retten und dabei selbst nicht geschnappt würden. Bei der vierten fügte ich Romans Namen hinzu. Es wäre nicht fair gewesen, ihn auszuschließen, immerhin opferte er sich für unseren Plan. Bei der fünften wünschte ich mir, dass der Dämon Mullendorf verschonen oder am besten gar nicht erst auferstehen würde. Und der sechste Wunsch galt meiner Familie. Meine Mutter sollte die Kraft finden, mit dem Trinken aufzuhören, und meine Schwester die Kurve bekommen und noch ein anständiger Teenager werden. Es war gegen zwei Uhr nachts und alles so ruhig und friedlich um mich herum. Leif hatte es endlich geschafft, das unaufhörliche Quasseln vom Fürsten, der uns von vergangenen Helden- und auch Gräueltaten erzählte, einzudämmen. Es war schrecklich, worüber der Typ alles quatschen konnte! So hatte er in aller Ausführlichkeit beschrieben, was er mit den Grabflüchtern im Lager machen würde, wenn er noch derjenige von früher gewesen wäre und den Posten eines Lageraufsehers innegehabt hätte. Dann berichtete er, welcher Promi (dazu zählte er auch Persönlichkeiten wie Mozart und Rembrandt) zum Blutsauger geworden war (Mozart definitiv nicht, bei Rembrandt war er sich nicht so sicher). Und er beschrieb die nahe Zukunft in den schillerndsten Farben, wenn er endlich den Dämon und zehntausende Vampire an seiner Seite hätte. Ich hatte das ewige Gemurmel und seine Prahlereien nur ausschalten können, indem ich mich den Sternen widmete. Doch nun war endlich Ruhe. Der Fürst schmollte und Leif hatte sich hingelegt und sah ebenfalls in die Sterne. Mir fielen die Augen zu.
    Ich wachte auf, als die Dämmerung aus der Brombeerhecke wich. Es war kalt geworden, ich fröstelte. Auf dem Gras lag Tau. Um uns herum zwitscherte es, als der Morgen graute. Unter anderen Umständen hätte ich es wunderschön gefunden, so zu erwachen, aber der Gedanke daran, was vor uns lag, vergällte mir diese Freude. Ich sah zu meinen Kameraden. Leif lag schlafend am Boden, er schnarchte ganz leise. Der Fürst saß schweigend da und beobachtete mich. Mir rann ein feiner Schauer den Rücken hinunter, als ich seinen Blick bemerkte.
    »Morgen«, murmelte ich nur.
    »Du siehst deinem Vater nicht ähnlich«, erwiderte er. Ich zuckte nur mit den Schultern. Zu so früher Stunde war mir nicht nach genetischen Vergleichen mit meinen Erzeugern zumute.
    »Was siehst du?«, fragte er mich leise.
    »Dass die Sonne bald aufgeht. Wir müssen uns noch besser verstecken.«
    »Ich meine, in deinen Visionen.«
    Ich wusste genau, was er gemeint hatte, wollte jedoch nicht darauf eingehen. »Momentan nichts.« Ich stieß Leif mit dem Fuß an, um ein längeres Gespräch darüber mit dem Fürsten zu vermeiden. »Leif, es wird Zeit.«
    »Ja, ja«, antwortete er, als wäre er schon die ganze Zeit wach gewesen. Vermutlich war er das auch.
    Ich erhob mich vorsichtig und sah über die Brombeerhecke Richtung Lager. Ich konnte mehrere Gebäude ausmachen. Uns zugewandt stand ein flacher, schwarz gestrichener Bau mit mehreren vergitterten Fenstern. Links davon befand sich ein weiterer Flachbau. Dahinter in einer Art Hof stand ein zweigeschossiges Gebäude, das weiß getüncht war und ebenfalls mehrere vergitterte Fenster aufwies. Außerdem konnte ich noch drei oder vier containerartige Gebäude ausmachen, die weder Fenster noch Gitter hatten. Um das Ensemble herum befand sich ein dichter, doppelter Maschendrahtzaun mit Stacheldraht im oberen Abschluss. Ich konnte nur ein winziges Tor sehen, das in das Lager hineinführte.
    Leif hatte sich erhoben und betrachtete Roberts Gefängnis. »Wie geht’s dir?«, fragte er mich leise.
    »Ging mir schon besser, aber ich schaffe das«, antwortete ich ihm.
    »Bist du sicher?«
    »Natürlich ist sie sicher«, erwiderte statt meiner der Fürst und grinste. »Sie will doch ihren Liebsten wiedersehen. Liebe verleiht Flügel. Und eine extra Portion Mut.«
    Ich hätte ihn am liebsten kopfüber in die dornige Brombeerhecke geschubst, doch ich tat es nicht, sondern versuchte, ihn zu ignorieren. »Ich ziehe mich um und gehe mit meinen Unterlagen zum Tor. Sobald ich drin bin, suche ich Robert.«
    Leif nickte. »Wenn dir irgendetwas seltsam vorkommt, rufst du uns sofort mit deinem Handy. Dann holen wir dich raus.«
    »Koste es, was es wolle«, ergänzte der Fürst.
    »Und wenn sie mir das Handy wegnehmen?«
    »Warum sollten sie? Falls du es nicht behalten darfst, kommst du gleich wieder raus

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