Die Legende
entkommen.«
Ich versuchte, mir Robert als Hippie vorzustellen, dieser Gedanke zauberte den Ansatz eines Lächelns auf meine Lippen.
»Du bist entkommen, weil ich dich gelassen habe. Du warst mir vorher schon einmal begegnet, in Verdun. Allerdings sah ich da anders aus. Erinnerst du dich an den Jungen im Schützengraben, der dir fast die Mütze vom Kopf geschossen hat?« Der Fürst grinste Robert an. »Ich fand dich sympathisch, deshalb lebst du noch. Und deshalb dachte ich, ich helfe dir heute aus der Hölle heraus. Du kannst mir später danken, oder vielleicht in ein paar hundert Jahren, wenn wir uns wieder begegnen.«
Robert schüttelte den Kopf. »Du bist ein Monster, du machst nichts aus Sympathie. Was war für dich dabei drin?«
»Ach, immer diese schlechte Meinung über mich. Dabei kann ich so nett sein, nicht wahr, Moona? Deine Schwester hat sich nicht beklagt, und ich habe mein Wort gehalten.«
Ich nickte, allerdings nicht sehr euphorisch.
»Er will die Vampire aus allen Lagern befreien und mit ihnen eine Armee aufstellen, um die Menschen zu unterdrücken«, mischte sich Leif plötzlich aus dem Hintergrund ein.
Robert sah ihn entsetzt an. »Und ihr habt ihn mitgenommen? Ihr hättet mich definitiv verrecken lassen sollen.«
»Wir hatten keine Wahl.«
Der Fürst zog bedauernd die Augenbrauen nach oben. »Eine Armee ist es leider nicht geworden, aber ein paar Blutsauger hat Roman retten können. Sie sind auf dem Weg in ein sicheres Versteck. Beim nächsten Mal wird alles besser klappen. Du bist doch wieder mit dabei, Moona?«
Erschrocken blickte ich zu ihm auf und überlegte fieberhaft, ob er noch etwas gegen mich in der Hand hätte oder ob ich bedenkenlos ablehnen konnte.
»Sie wird in Mullendorf gebraucht. Dort hat sie genügend zu tun«, kam mir Leif zu Hilfe.
»Schade. Aber egal. Wenn ihr fertig seid mit eurer Pause, sollten wir aufbrechen. Sie werden bald die ganze Gegend nach uns absuchen.«
Er hatte Recht, wir waren noch längst nicht aus der Gefahrenzone heraus, auch wenn ich das Feuer am Horizont kaum noch ausmachen konnte.
Müde rappelte ich mich auf, um die Flucht nach Hause fortzusetzen.
Gegen Mittag kamen wir in Mullendorf an. Wir hatten die großen Straßen gemieden und waren stattdessen querfeldein gelaufen. Sobald es hell geworden war, hatte Leif in einem kleinen Kaff ein Auto gekauft, mit dem wir über Nebenstraßen und Feldwege Richtung Heimat fuhren. Die ganze Zeit hielt ich Roberts Hand fest umklammert. Ich wollte ihn gar nicht mehr loslassen. In Mullendorf angekommen, mussten wir uns jedoch trennen, weil er mit Leif ein geeignetes Versteck aufsuchen wollte.
Ich grüßte meine Mutter, die aufgeweckt und nüchtern (!) im Wohnzimmer saß, bevor ich mich in mein Zimmer schleppte, mich duschte und auszog und in einen langen, tiefen und traumlosen Schlaf fiel.
Der Dämon
Erst gegen Abend wachte ich auf. Als ich ins Wohnzimmer trat, flimmerte der Fernseher. Meine Mutter bügelte Wäsche, etwas, das sie schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr getan hatte. Meine Schwester lag in ihrem Zimmer und hörte Musik, die ihr Pedro einmal runtergeladen hatte. Sie war nicht ansprechbar und ich ließ sie in ihrem Schmerz in Ruhe. Meine Mutter hingegen war gesprächig wie schon lange nicht mehr. Sie erzählte mir in aller Ausführlichkeit, wen sie im Dorf beim Einkaufen getroffen hatte und wie großartig sie sich fühlte. Doch ich hörte kaum hin. Meine Aufmerksamkeit galt den Abendnachrichten, die gerade über die Katastrophe in einem »Reservat zur Assimilation und Zivilisierung von nichtmenschlichen Individuen«, wie die Lager offiziell hießen, in der vergangenen Nacht berichteten. Durch einen Stromausfall sei ein Dieseltank explodiert, der das ganze Lager in Brand gesetzt hätte. Um die hundert Vampire hätten dadurch aufgehört zu existieren, eine unbekannte Anzahl hingegen sei entkommen. Es seien zahlreiche menschliche Todesopfer zu beklagen, unter ihnen der Leiter der Einrichtung, Unteroffizier Parrier. Die Ursache für den Stromausfall werde noch untersucht. Als vermisst gelte zudem eine verdächtige Person namens Ramona Schmidt. Zu diesem Namen blendeten sie ein von einem Polizeizeichner skizziertes Bild von mir ein, auf dem mich nicht einmal meine Mutter erkannte, als sie aufblickte. Offenbar waren meine Bewerbungsunterlagen ebenfalls Opfer der Flammen geworden. Der Brand sei noch immer nicht vollständig unter Kontrolle, lauteten die abschließenden Worte des
Weitere Kostenlose Bücher