Die Legende
hinweg und wollten gerade durch das Tor, das ohne Strom völlig nutzlos war, hinausgehen, als ich etwas spürte. Ich konnte immer noch nicht gut hören, doch ich nahm etwas wahr, ein Vibrieren der Luft, das mir die Nackenhaare aufstellte. Ich drehte mich um und sah direkt in die Augen eines Hundes. Er hatte mich gestellt und bellte nun andere seiner Art herbei. Dann setzte er zum Sprung an.
Doch ich hatte die Warnung meines Vaters nicht vergessen. Schnell holte ich das letzte Utensil aus meiner Tasche. Pfefferspray. Ich sprühte dem monströsen Mastiff, der viel zu groß für seine Rasse war, das Zeug direkt in die Nase und die Augen. Jaulend zog er sich zurück, nieste und schniefte, wischte sich mit der Pfote über das Gesicht und ließ mich in Ruhe. Mühsam schleifte ich Robert durch das Tor, hinaus in die Nacht – der Sicherheit entgegen.
Etwa dreißig Minuten wurden wir von Leif eingeholt. Er hatte während der Kämpfe mehrere Wunden davongetragen, die bereits heilten. Inzwischen wurde auch Robert von Schritt zu Schritt in der lauen Nachtluft lebendiger und konnte alleine weiterlaufen. Wir eilten den Bahndamm entlang, der sich wie ein heller Strich durch die Dunkelheit zog; je mehr sich der Abstand zwischen uns und dem unseligen Lager vergrößerte, desto erleichterter fühlte ich mich. Ich hörte inzwischen etwas besser. Das Knirschen unserer Schritte auf den Steinen des Damms drang deutlich an mein Ohr. Ansonsten herrschte Stille. Weder Leif noch Robert noch ich sagten auch nur ein Wort. Einmal drehten wir uns um und sahen, wie sich der Himmel rot färbte von der Feuersbrunst, die einmal ein Lager für Grabflüchter gewesen war. Dort würde niemand so schnell wieder Vampire gefangen halten können.
Wir liefen ohne Unterlass, um den Tatort so weit wie möglich hinter uns zu lassen. Meine Füße schmerzten, meine Lunge brannte, doch ich wollte nicht stehenbleiben und die anderen beiden aufhalten. Denn dass Leif und Robert das Bedürfnis auf eine Pause verspürten, war nicht zu erwarten. Erst als wir eine Ortschaft passieren mussten, hielten wir inne, um zu überlegen, wie wir am schnellsten weiterkämen. Wir umgingen sie in südlicher Richtung über Pferdekoppeln und Kuhweiden. Glücklicherweise schien der Mond, so dass wir das Gelände einigermaßen gut ausmachen konnten. An einem kleinen Wäldchen angekommen, brach ich völlig erschöpft zusammen. Ich war so fertig, dass ich kaum noch reden konnte.
Robert ließ sich neben mir nieder und nahm meine Hand. »Ich weiß nicht, ob ich sauer oder stolz auf dich sein soll. Du bist völlig verrückt, das für mich auf dich zu nehmen. Dir hätte sonstwas passieren können!«
»Ist es aber nicht«, murmelte ich glücklich und drückte einen zärtlichen Kuss auf seine kühle Hand.
»Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast. Aber bitte, bitte, tu das nie wieder! Lass mich das nächste Mal einfach umkommen. Hörst du?«
»Am besten, du lässt dich das nächste Mal gar nicht erst fangen.«
Ich sah in seine Augen, die im Mondlicht unirdisch glänzten. Er lächelte zart. »Ich hoffe, du hast dich wegen mir nicht noch mehr Gefahren ausgesetzt. Ich erinnere mich dunkel, dass du mir etwas über diese Individuen aus meiner Vergangenheit zugeflüstert hast. Hast du die etwa auch erledigt?«
»Nein, das war ich«, ertönte auf einmal die Stimme von Philipp von Bismarck hinter uns. »Obwohl sie das bestimmt auch gekonnt hätte. Sie ist wirklich patent.«
Robert drehte sich zu dem Sprechenden um und sprang wie von der Tarantel gestochen auf.
»Was macht der hier?«, fragte er Leif.
Leif zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn nicht eingeladen, das war deine Liebste.«
Robert sah zu mir. Er wirkte wütend.
»Er wollte mir nur verraten, wo du steckst, wenn er mitkommen darf. Ich hatte keine Wahl«, rechtfertigte ich mich.
»Robert, lieber Robert, warum diese Feindseligkeit?«, säuselte der Fürst. »Ich habe dir geholfen, du solltest mir danken, statt alte, längst vergangene Geschichten hervorzukramen. Ich freue mich jedenfalls, dich wiederzusehen.«
»Ihr kennt euch?«, fragte ich verdutzt.
»Es ist lange her«, erklärte Philipp von Bismarck. »Obwohl, solange auch wieder nicht, immerhin hat er mich erkannt, das heißt, ich war schon in diesem Körper. Zu welcher Gelegenheit doch gleich?«
Robert verzog den Mund. »Du hast eine Gruppe friedlicher Vampire, die Blumengirlanden flochten, während eines Festivals überfallen und gepfählt. Ich konnte nur mit Mühe
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