Die Legende
dich nicht, wir sind auch nicht machtlos, und dem Schiff wird nichts mehr zustoßen. Das verspreche ich dir.«
»Und was ist mit seiner Seele?« fragte der Kapitän und ging an die Reling. »Ist sie verdammt?«
»Sie ist frei«, antwortete Vintar. »Glaub mir.«
»Wir werden bald alle frei sein«, sagte Rek, »wenn niemand das Schiff von den Felsen wegsteuert.«
Die Akolyten verließen schweigend das verdunkelte Zelt Nosta Khans und ließen ihn in der Mitte des Kreidekreises auf dem Boden sitzend zurück. Gedankenverloren beachtete Nosta Khan sie nicht weiter – er war erschöpft und zornig.
Denn sie hatten ihn geschlagen, und er war ein Mann, der nicht an Niederlagen gewöhnt war. Sie schmeckten bitter.
Er lächelte.
Es würde ein nächstes Mal geben …
16
Durch Wind von achtern begünstigt, lief die Tunichtgut nach Norden, bis endlich die silbergrauen Türme von Dros Purdol am Horizont auftauchten. Kurz vor Mittag segelte das Schiff in den Hafen ein, vorbei an den drenaischen Kriegstriremen und Handelsschiffen, die in der Bucht vor Anker lagen.
Auf den überfüllten Docks verkauften Händler Zaubertränke, Schmuck, Waffen und Decken an die Seeleute, während kräftige Hafenarbeiter Vorräte über schwankende Laufstege schleppten, Ladung verstauten und überprüften. Überall herrschte Lärm und scheinbares Durcheinander. Das Hafenviertel war voller Leben und dem hektischen Treiben der Städter, und Rek spürte ein leises Bedauern, daß sie das Schiff verließen. Als Serbitar die Dreißig von Bord führte, verabschiedeten Rek und Virae sich vom Kapitän.
»Mit einer Ausnahme war es eine mehr als angenehme Reise«, sagte Virae. »Ich danke dir für deine Zuvorkommenheit. «
»Es war mir ein Vergnügen, euch zu Diensten zu sein, meine Dame. Bei meiner Rückkehr werde ich die Hochzeitspapiere nach Drenai schicken. Es war für mich das erste Mal. Ich war noch nie bei der Hochzeit einer Grafentochter dabei, geschweige denn, daß ich die Trauung vollzogen hätte. Ich wünsche dir alles Gute.« Er verbeugte sich und küßte ihr die Hand.
Er hätte gern noch hinzugefügt: »Glück und langes Leben«, aber er wußte ja, wohin sie unterwegs waren.
Virae ging den Laufsteg hinab, und Rek ergriff die Hand des Kapitäns. Es überraschte ihn, daß der Mann ihn umarmte.
»Möge dein Schwertarm stark sein, deine Gedanken glücklich und dein Pferd schnell, wenn die Zeit kommt«, sagte er.
Rek grinste. »Die beiden ersten Dinge werde ich brauchen. Und was das Pferd angeht – glaubst du wirklich, daß diese Dame auch nur im Traum an Flucht denken würde?«
»Nein. Sie ist eine wunderbare Frau. Viel Glück.«
»Ich werde mein möglichstes tun«, erwiderte Rek.
Am Kai bahnte sich ein junger Offizier im roten Umhang seinen Weg durch die Menge zu Serbitar.
»Was wollt ihr in Dros Purdol?« fragte er.
»Wir reisen nach Delnoch, sobald wir Pferde erstanden haben«, antwortete der Albino.
»Die Festung wird in Kürze belagert werden, Herr. Ihr wißt doch, daß ein Krieg bevorsteht?«
»Ja. Wir reisen mit Virae, der Tochter Graf Delnars, und ihrem Gatten Regnak.«
Als er Virae sah, verbeugte sich der Offizier: »Es ist mir eine Ehre, meine Dame. Wir haben uns auf der Feier zu Eurem achtzehnten Geburtstag im letzten Jahr kennengelernt. Ihr erinnert Euch wahrscheinlich nicht mehr an mich.«
»Ganz im Gegenteil, Dun Degas! Wir haben getanzt, und ich trat dir auf den Fuß. Du warst sehr galant und hast die Schuld auf dich genommen.«
Degas lächelte und verbeugte sich erneut. Wie sie sich verändert hat, dachte er. Wo war das schwerfällige Mädchen, das sich ständig auf den Rocksaum trat? Das tiefrot geworden war, als es bei einer hitzigen Diskussion einen Kristallkelch zerbrochen und das Gewand der Dame links von ihr völlig durchnäßt hatte? Was hatte sich verändert? Sie war noch dieselbe mädchenhafte Frau, die er in Erinnerung hatte – mausblondes Haar, zu großer Mund, gewitterfinstere Brauen über tiefliegenden Augen. Er sah ihr Lächeln, als Rek vortrat, und seine Frage war beantwortet. Sie war begehrenswert geworden.
»Woran denkst du, Degas?« fragte sie. »Du siehst aus, als wärst du weit weg.«
»Bitte verzeiht mir, meine Dame. Ich dachte gerade, daß Graf Pindak hocherfreut sein wird, Euch zu empfangen.«
»Du wirst ihm mein Bedauern ausrichten müssen«, sagte Virae, »denn wir müssen so schnell wie möglich aufbrechen. Wo können wir Pferde kaufen?«
»Ich bin sicher, wir finden gute
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