Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
Vom Netzwerk:
»Virae?«
    »Ich bin ja nicht blöd, Rek.«
    »Entschuldige. Weiter, Menahem.«
    »Jetzt versuche dir vorzustellen, daß es noch andere Pfade gibt. Sagen wir, nicht nur von Drenan nach Delnoch, sondern von heute ins Morgen. Morgen ist noch nicht geschehen, und die Möglichkeiten dafür sind unendlich. Jeder von uns trifft eine Entscheidung, die das Morgen beeinflußt. Aber laß uns sagen, wir reisen nach Morgen. Dann sehen wir uns einer Vielzahl von Pfaden gegenüber, spinnwebdünn und sich ständig verändernd. In einem Morgen ist Dros Delnoch bereits gefallen, in einem anderen wurde es gerettet, oder es steht kurz davor zu fallen oder gerettet zu werden. Damit haben wir schon vier Pfade. Welcher ist der wahre? Und wenn wir dem Pfad folgen, wie kehren wir ins Heute zurück, das von dort, wo wir sind, eine Vielzahl von Gestern ist? In welches Gestern kehren wir zurück? Serbitar ist weit über das Morgen hinaus gereist. Und Vintar fand ihn, weil wir den Pfad für ihn sichtbar hielten.«
    »Du hast den falschen Vergleich gewählt«, meinte Rek. »Es ist nicht so, wie einem Blinden Farben zu erklären. Es ist eher, als versuchte man einem Felsen Bogenschießen beizubringen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du eigentlich sprichst. Wird Serbitar wieder gesund?«
    »Das wissen wir noch nicht. Wenn er es überlebt, werden wir Informationen von großem Wert haben.«
    »Was ist mit seinen Augen? Wieso haben sie die Farbe geändert?« fragte Virae.
    »Serbitar ist ein Albino – ein echter Albino. Er braucht bestimmte Kräuter, um bei Kräften zu bleiben. Letzte Nacht ist er zu weit gereist und hat sich verirrt. Es war tollkühn. Aber sein Herzschlag ist kräftig, und jetzt ruht er.«
    »Dann wird er nicht sterben?« fragte Rek.
    »Das können wir noch nicht sagen. Er ist einen Weg gegangen, der seinen Geist gewaltig beansprucht hat. Es kann sein, daß er den SOG erleidet. Das passiert einigen Reisenden. Sie entfernen sich so weit von sich selbst, daß sie dahintreiben wie Rauch. Wenn sein Geist zerbrochen ist, wird er ihn verlassen und in die Nebel zurückkehren.«
    »Könnt ihr denn gar nichts tun?«
    »Wir haben getan, was wir konnten. Wir können ihn nicht für immer halten.«
    »Wann werden wir es wissen?«
    »Wenn er erwacht. Falls er erwacht.«
     
    Der Vormittag zog sich in die Länge, und Serbitar lag noch immer reglos da. Die Dreißig boten keine Unterhaltung, und Virae war flußaufwärts gegangen, um zu baden. Gelangweilt und müde nahm Rek die Schreiben aus seinem Beutel. Die dicke, mit Wachs versiegelte Rolle war an Graf Delnar gerichtet. Rek erbrach das Siegel und breitete den Brief aus. In fließender Handschrift war zu lesen:
     
    Mein lieber Freund,
    wenn Du dies liest, werden euch, nach unseren Informationen, die Nadir bereits angreifen. Wir haben wiederholt versucht, den Frieden zu sichern, und alles angeboten, was wir haben, außer dem Recht, uns selbst als freies Volk zu regieren. Ulric will nichts davon hören – er will ein Reich für sich, das sich vom Nordmeer bis zum Südmeer erstreckt.
    Ich weiß, daß die Dros nicht halten kann, und daher ziehe ich meinen Befehl zurück, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Es wird eine Schlacht ohne Gewinn und ohne Hoffnung.
    Wundweber ist – unnötig zu sagen – gegen diese Politik, und er hat deutlich gemacht, daß er sich mit seiner Armee als Untergrundkämpfer in die Berge zurückzieht, wenn wir den Nadir erlauben, in die sentrische Ebene zu ziehen.
    Du bist ein alter Soldat, und die Entscheidung liegt bei Dir. Gib mir die Schuld für die Niederlage. Es geschieht mir recht, denn ich habe das Volk der Drenai in diese schlimme Lage gebracht. Denk nicht zu schlecht von mir. Ich habe immer versucht zu tun, was das Beste für mein Volk war.
    Aber vielleicht haben mir die Jahre doch mehr zugesetzt, als ich dachte, denn in meinen Verhandlungen mit Ulric hat mich meine Weisheit verlassen.
     
    Der Brief war schlicht mit ›Abalayn‹ unterzeichnet. Darunter befand sich das rote Siegel des drenaischen Drachen.
    Rek rollte den Brief wieder zusammen und steckte ihn zurück in seine Satteltasche.
    Kapitulation … eine helfende Hand am Rand des Abgrunds.
    Virae kam vom Fluß zurück, mit nassen Haaren und rosigen Wangen.
    »Ach, Götter, hat das gutgetan!« sagte sie und setzte sich neben ihn. »Warum das lange Gesicht? Ist Serbitar noch nicht erwacht?«
    »Nein. Sag mir, was hätte dein Vater getan, wenn Abalayn ihm befohlen hätte, die Dros

Weitere Kostenlose Bücher