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Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)

Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)

Titel: Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Thiele
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niemand außer Zemal. Nicht einmal der Schatten einer Ratte huschte vorbei. Kein Verdammter, der noch bei klarem Verstand war, würde am Mittag nach draußen gehen. Aber Zemal war nicht bei klarem Verstand. Er zog sich an, wickelte sich den langen Schal um den Kopf, bis nur noch ein schmaler Schlitz für die Augen frei blieb und verließ das Zelt. Vor ihm trieb der Wind heißen Staub auf, die Luft flimmerte. Wie erwartet sah er keinen anderen Menschen im Camp, einer Zeltstadt, die sich über einige hundert Meter in der Einöde ausgebreitet hatte. In der Mitte thronte ein einziges Gebäude aus Stein, sie nannten es die Halle. Es war ein Relikt der Alten. Sein Dach, nur noch in Teilen erhalten, schimmerte von schwarz über violett bis hin zu silbrig, je nachdem in welchem Winkel man es betrachtete. In der Halle gab es Wasser, deshalb war das Camp der Verdammten hier. Ohne Wasser gäbe es die Verdammten nicht, sie wären längst Fraß für die Ratten. Pumpen förderten das Wasser tief aus der Erde. Was die Pumpen antrieb, wussten die Verdammten nicht genau. Es hing irgendwie mit dem Dach der Halle zusammen. Als vor wenigen Jahren ein Teil davon einstürzte, fiel eine der Pumpen aus. Bis heute versuchten sich die Ältesten daran, sie zu reparieren.
    Zemal wanderte ziellos durch das Camp. Vielleicht sollte er sich schon zur Halle begeben, jetzt lauerte ihm sicher noch niemand auf. Die Schmach der Stange bliebe ihm so erspart. Doch an der Halle gab es kaum Schatten und die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel. Schon bald war Zemals Kleidung mit Schweiß durchnässt. Das würde er nicht lange aushalten. Plötzlich lugte ein Gesicht aus dem Zelt, an dem er gerade vorbeilief.
    „Zemal! Was machst du da draußen? Komm ins Zelt. Wäre doch zu schade, wenn du noch vor deiner Initialisierung in der Sonne vertrocknen würdest“, sagte das Gesicht.
    Es gehörte zu Piri. Sie war eine der Ältesten und obendrein Zemals Großmutter. Den kühlen Schatten des Zeltes empfand Zemal mehr als willkommen.
    „Ich kann ja verstehen, dass du aufgeregt bist, aber du solltest dich lieber ausruhen. Deine Aufgabe wird kein Kinderspiel“, sagte Piri.
    „Ach, und was ist meine Aufgabe?“, fragte Zemal.
    „Das erfährst du heute Abend. Jetzt solltest du schlafen. Hier trink das, das beruhigt“, entgegnete Piri und hielt ihm einen Becher mit einer übel riechenden Flüssigkeit vor das Gesicht.
    Zemal wusste aus Erfahrung, dass es wenig Sinn machte, Piri zu widersprechen. Sie würde ihren Willen durchsetzen, so oder so. Also legte er seinen Schal ab, setzte sich und trank. Das Gesöff schmeckte fast noch schlimmer als es roch. Nur wenige Minuten später fielen ihm die Augen zu und er schlief ein, den Becher noch mit beiden Händen umklammert. Piri nahm Zemal den Becher ab und strich sanft über seinen Kopf.
    „Was fangen wir nur mit dir an“, sagte sie leise.
    ***
    „Was machen wir, wenn Ramed doch noch einen Mann findet? Wir hätten dann keine Dienende. Es ist schon so schwer genug, seit deine Schwester verschwunden ist“, sagte Zemals Vater.
    „Nur ein Narr lässt sich mit Ramed ein, sie hat deine Statur und ein schlimmeres Gemüt als Piri auf ihre alten Tage“, antwortete Zemals Mutter.
    „Bisher hast du dich über mein Aussehen nicht beschwert“, entgegnete Zemals Vater.
    „Für einen Mann geht es in Ordnung. Ramed ist aber kein Mann. Worauf wolltest du mit deiner Frage überhaupt hinaus? Fang nicht wieder damit an, dass wir Zemal zum Dienenden machen. Den Floh hat dir doch deine Mutter ins Ohr gesetzt“, sagte Zemals Mutter.
    „Du hast selbst gesagt, dass er dafür geeigneter wäre als Ramed. Sie wird dieses Schicksal nicht so einfach annehmen, sie wird sich auflehnen. Sie hat sich schon immer aufgelehnt. Zemal tut, was man ihm sagt“, argumentierte Zemals Vater.
    „Ramed wird sich in ihre Rolle finden. Ich werde meinen einzigen Sohn nicht zum Dienenden machen, nur weil Piri dies für richtig hält. Es ist eine Sache, dass sie den Rat der Ältesten drangsaliert, aber das Oberhaupt dieser Familie bin ich und nicht mehr sie. Mach deiner Mutter also klar, dass die Aufgabe, die sie Zemal heute Abend stellen, auch zu bewältigen ist!“, betonte Zemals Mutter.
    In diesem Moment schwang die Zeltplane am Eingang zur Seite. Der Schatten einer kleinen Frau zeichnete sich gegen die einfallende Nachmittagssonne ab.
    „Komme ich ungelegen?“, fragte Piri und trat in das Zelt von Zemals Eltern.
    „Nein, komm nur herein. Wir sprechen

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