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Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)

Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)

Titel: Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Thiele
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neue Kinder zu haben. Aber was war mit denen, die sie verloren hatte? Sollte sie die einfach vergessen? Auch wenn es jetzt zwei Jahre her war, sie trauerte noch immer um sie. Der Tod ihrer Familie erschien ihr so sinnlos, war zu plötzlich gekommen. Manchmal, wenn sie in der Nacht die Einsamkeit quälte, verfluchte sie die Alten sogar für ihr eigenes Überleben. Dann durchlitt sie jene Tage im Zeitraffer aufs Neue, sah sich selbst ins Zelt kommen. Ihre Eltern, die Kinder, ihr Mann wanden sich stöhnend am Boden. Es roch nach Erbrochenem, in der Mitte des Zeltes dampfte noch der Kessel mit dem Essen. Ihr Sohn hatte die verseuchte Ratte am Rand der Siedlung beim Spielen gefunden. Wahrscheinlich war er stolz auf seinen Fund gewesen. Seine Schwester hatte daraus ein Mahl gekocht. Sie wollten den anderen eine Freude machen. Beide waren noch zu jung, um ihren Fehler zu bemerken. Als erstes erlag Beos Vater der Vergiftung, er starb kurz nachdem sie ins Zelt kam. Die Kinder lebten nicht viel länger, ihr Mann wachte am nächsten Morgen nicht mehr auf. Einzig Beos Mutter kämpfte noch weitere drei Tage um ihr Leben, aber auch sie verlor. Nicht einmal Piri mit all ihrer Erfahrung, all ihren Tinkturen und Salben, konnte sie retten. War es die Scham vor dem eigenen Versagen, was Piri Beo für den Rat der Ältesten vorschlagen ließ?
    Beo seufzte auf und zwang sich in die Gegenwart zurück. Sie mochte nicht ewig in der Vergangenheit leben, doch die Erinnerungen ließen sich schwer abschütteln. Im Rat der Ältesten hatte sie eine neue Aufgabe gefunden. Sie wollte etwas bewirken, etwas verändern. Auch wenn sie sich damit oft gegen Piri stellen musste. Es war ein offenes Geheimnis, dass Piri den Rat der Ältesten beherrschte. Sicher, Piri verwaltete das Lager bisher erfolgreich, aber sie stemmte sich dabei auch vehement gegen jedwede Veränderung. Beo hingegen hasste die verkrusteten Traditionen der Verdammten, hätte sie am liebsten hinweg gewischt, wie der Wind den Staub der Einöde. Natürlich musste sie dabei behutsam vorgehen, jahrhundertealte Gewohnheiten ändert man nicht über Nacht. Die zukünftige Versorgung mit Wasser schien ihr ein guter Anfang. Nicht einmal Piri konnte dagegen etwas einwenden! Andere Dinge, wie die Dienenden würden warten müssen. Dies war ein zu heikles Thema, das hatten die Diskussionen um Zemal gezeigt. Unter den Nachtjägern brodelte es  deswegen gewaltig, angestachelt natürlich von Mo. Sicher, die Nachtjäger waren nur eine kleine Gruppe – mehr als zwei Dutzend gab es nicht in der Siedlung – doch viele von ihnen waren jung, rebellisch. Und sie zeigten ein nie dagewesenes Selbstbewusstsein. Schon hörte man unter den Verdammten erste besorgte Stimmen. Jeder kannte die Geschichten aus den Tagen, als die Nachtjäger tyrannisch über die Verdammten herrschten. Eine blutige Revolte – so die Erzählungen – kehrte die Verhältnisse einst um. Beo hielt diese Geschichten für übertrieben, so wie die Ängste, die daraus entstanden. Schließlich lebten die Verdammten nun seit Generationen friedlich mit den Nachtjägern zusammen. Wenig verwunderlich, waren die Nachtjäger doch allesamt ihre Kinder. Dabei gab es kaum ein Muster, ob ein Kind als Nachtjäger geboren wurde, aber mit jeder Generation nahm ihr Anteil ab. Es stand also eher zu befürchten, dass die Nachtjäger bald ganz aussterben würden. An die Konsequenzen mochte Beo nicht denken. In ihrer eigenen Familie hatte es nie Nachtjäger gegeben, auch ihre eigenen Kinder… Beo seufzte erneut.
    „Zeit, etwas zu tun. Zeit sich abzulenken“, sagte sie zu sich selbst und verließ das Zelt.
    ***
    Nur noch ein schwacher Schimmer des letzten Lichtes erhellte den Horizont. Eine kleine Gruppe junger Leute, vier Mädchen und zwei Jungen – alles Nachtjäger –, wartete schon, als Mo an den Rand der Siedlung kam. Tikku saß lässig auf dem kleinen, hüfthohen Felsen an dem sie sich immer trafen. Die anderen lungerten um ihn herum im Staub der Einöde. Beinahe hatte es den Anschein, als thronte Tikku über ihnen wie ein König. Die Pose gefiel ihm sichtlich.
    „Scheiße, du kommst zu spät! Warst wohl wieder bei deinem Staubfresser“, blaffte sie Tikku an.
    „Zemal ist Nachtjäger, er gehört zu uns“, entgegnete Mo.
    „Und warum kratzt er dann jeden Tag die Scheiße aus den Gruben und schleppt sie anschließend zu den Gewächshäusern? Ein Nachtjäger muss keine Scheiße schleppen, nur die Staubfresser müssen das“, antwortete

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