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Die Legende der Dunkelheit: Thriller

Die Legende der Dunkelheit: Thriller

Titel: Die Legende der Dunkelheit: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Stilrichtungen. Neben der Haustür stand eine Stechpalme, und über jeder Tür hing ein Mistelzweig.
    Und überall im Haus waren Fotos, die sie und Michael zeigten: am Strand, im Garten, mit Freunden und mit Michaels Hunden.
    Bis letztes Jahr hatte KC Weihnachten nie gemocht. Da sie aus armen Verhältnissen kam und ihre einzige Familie immer nur ihre Mutter und ihre Schwester gewesen waren, hatte das Geld meist gerade gereicht, um Essen zu kaufen und die Miete für die kleine Londoner Zwei-Zimmer-Wohnung aufzubringen. Dort gab es keinen Weihnachtsmann und keine Weihnachtsstrümpfe, weder einen Weihnachtsbaum noch ein Weihnachtsessen, obwohl KC, wenn sie am Weihnachtsmorgen aufwachte, immer ein Geschenk am Fußende ihres Bettes fand, meist einen Schal oder einen Pullover, manchmal auch ein Kleid. Ihre Mutter hatte während der Arbeit auf das Mittagessen verzichtet und damit das bisschen Geld, das sie sparen konnte, zusammengekratzt, um ihren Mädchen wenigstens ein Geschenk zu kaufen. Und auch wenn KC dankbar dafür war, machten das einsame Geschenk und der fehlende Weihnachtsschmuck in ihrer Wohnung es nur noch schmerzhafter für sie, nach draußen zu gehen und zu sehen, wie die Straßen in der Festbeleuchtung glitzerten, zu hören, wie Sternsinger an den Straßenecken Weihnachtslieder sangen, und mitzuerleben, wie Eltern mit zahllosen Tüten und Taschen unter den Armen nach Hause eilten.
    Mit den Jahren fand KC Trost in der Weihnachtsmesse, wenn sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in der hintersten Kirchbank saß und die Klänge von »Stille Nacht« durch das Kirchenschiff schallten. Es erinnerte sie an die wahre Bedeutung dieses Tages. Sie liebte die engelgleichen Stimmen des Chors, das friedliche Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter, wenn ihr Mund die vertrauten Worte formte. Es trieb ihr jedes Mal die Tränen in die Augen, denn es erinnerte sie daran, dass sie einander hatten.
    Als ihre Mutter zwei Tage vor Weihnachten starb, als KC gerade mal fünfzehn und Cynthia neun Jahre alt war, wurden die Feiertage fast unerträglich. Sie waren zwei verwaiste Kinder.
    KC, die wesentlich älter wirkte als fünfzehn, überzeugte die Sozialarbeiterin vom Jugendamt davon, dass sie zwanzig war und in der Lage, ihre Schwester großzuziehen. Sie überredete die herzensgute Frau, Cynthia nicht mitzunehmen und der staatlichen Fürsorge zu überstellen, die Mädchen nicht voneinander zu trennen, denn sie hatten nur noch einander.
    Als Cynthia sich an jenem Heiligabend in den Schlaf weinte, schlich KC sich lautlos aus der Wohnung. Als sie inmitten all der Lichter, dem Lachen und den Liedern derer, die sich über diesen Feiertag freuten, durch die Straßen ging, war ihr, als würde ihr das Herz brechen. Die Verzweiflung übermannte sie, nicht ihretwegen, sondern wegen ihrer Schwester, die allein in ihrem Bett lag mit Träumen, die nur Albträume sein konnten.
    Um der Kälte zu entkommen, ging KC in das große Kaufhaus, das noch geöffnet war für diejenigen, die ihre Weihnachtseinkäufe erst in letzter Minute tätigten. Sie schaute auf die Jacken, auf die wunderschönen Kleider und Schuhe, auf all die vielen Dinge, die sie und ihre Schwester niemals besessen hatten. Sie schaute auf die Fernsehapparate und Stereoanlagen, auf rosafarbene Kissen und Poster, Dinge, die für andere Leute selbstverständlich waren, die ihre Schwester und sie jedoch gar nicht kannten. Da war ein roter Kaschmirpullover, weicher als alles, was sie je berührt hatte. Sie hielt ihn sich an die Wange und schloss die Augen, tat für einen Moment so, als wäre sie jemand anderes.
    Sie hielt ihn vor sich hin, schaute in den Spiegel, und im nächsten Moment huschte ein schwaches Lächeln über ihre Lippen, denn der Pulli war ihr viel zu klein. Aber wie er sich anfühlte, das war etwas, was sie nie vergessen sollte. Als sie auf all die Leute in Feierlaune blickte, die sich mit ihren Geschenken und Tannenkränzen auf den Weg nach Hause zu ihren Familien und Freunden machten, wurde ihr plötzlich bewusst, dass der einzige Mensch, auf den sie sich verlassen konnte, der einzige Mensch, auf den Cynthia sich verlassen konnte, sie selbst war. Sie hatten keine Freunde und keine Familie, die ihnen hätten helfen können, und wenn sie überleben wollten, lag die ganze Last auf KCs Teenagerschultern.
    Als Cynthia am Weihnachtsmorgen aufwachte, dauerte es einen Moment, bis ihr die Realität bewusst wurde, bis ihr wieder einfiel, dass ihre Mutter tot war, dass Weihnachten

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