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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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aufgehübscht, um auch in der Stadt Eindruck zu machen. Sogar Brynd musste bei diesem Anblick an einen Stutzer wie aus dem Bilderbuch denken. Der große Mann stand ganz gerade und mit gerecktem Kinn da und neigte den Kopf mal nach rechts, mal nach links in Pose. Mehrere Hofdamen drängten sich in seiner Nähe, und ab und an warf er ihnen ein einstudiertes Lächeln zu.
    Brynd zückte eine Braue. »Den hab ich hier noch nie gesehen. Wir sollten einen Diener nach ihm fragen.«
    Apium verschwand und kehrte kurz darauf zurück.
    »Er heißt Randur Estevu und ist offenbar Lady Eirs Fecht- und Tanzlehrer. Ich glaube mich zu erinnern, dass Johynn jemanden für diese Aufgaben bestallen wollte. Aber einen Ball abzuhalten, weil die Eiszeit demnächst den ganzen Archipel erstarren lassen wird? Wenn Ihr mich fragt, sind diese Adligen komplett plemplem.«
    »Sind wir denn nicht auch Adlige?«, fragte Brynd.
    »Sicher, aber wir tun immerhin etwas Nützliches und hüpfen nicht nur zu Musik herum.«
    »Als Ihr das letzte Mal ein Tänzchen wagtet, habt Ihr das Parkett leer gefegt«, erwiderte Brynd, »aber nicht, weil alle beiseitegetreten wären, um Eure Kunst zu bewundern.«
    »Zugegeben, ich hatte etwas zu tief ins Glas geschaut. Doch wozu braucht ein Soldat schon Rhythmus?«
    »Um gut zu fechten. Dieser Heimatlose kann sich gewiss bestens verteidigen.«
    Der Kommandeur musterte Randur, diesen seltsam wirkenden Neuankömmling, der sich zweifellos zu kleiden wusste. Plötzlich erwiderte der Mann seinen Blick. Sie sahen sich kurz in die Augen. Dann schaute Randur weg.
    Brynd konzentrierte sich wieder auf Urtica, der weiter vor der neuen Kaiserin katzbuckelte, indem er sich dann und wann ein Lachen abzwang, immer wieder ein falsches Lächeln aufsetzte und zu übertriebenen Gesten griff – all das ließ Übelkeit in ihm aufsteigen.
    Am späteren Nachmittag durften die Schwestern sich für eine Weile gemeinsam zurückziehen, nachdem beschlossen worden war, das Staatsbegräbnis für Kaiser Johynn erst am nächsten Morgen stattfinden zu lassen. Er sollte – wie jeder Regent vor ihm – in der Höhlenkrypta unter dem Balmacara beigesetzt werden. Alle anderen Bürger wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wie es die alten Stammesreligionen forderten, da man annahm, so würden ihre Seelen die anderen Welten rascher erreichen, die ihnen – je nach Lebensführung – als neue Heimat dienten. Nur die Kaiser waren ausersehen, für immer in Villjamur zu bleiben. Daher wurden ihre Leichen in die Höhlen geschafft, damit sie dort verwesten und zu einem Teil der Stadt und ihrer Legende wurden.
    Auf dass ihre Knochen zu Villjamurs Knochen wurden.
    Die Nachricht vom Tod des Kaisers war nach Brynds Abreise wie eine langsame Schockwelle durch den Palast gegangen. Ratsmitglieder waren durch den Balmacara geirrt, hatten unheilvolle Äußerungen gemurmelt und das allgemeine Unbehagen so weiter gesteigert. Brynd hatte die Malaise in der kurzen Zeit seit seiner Rückkehr noch zunehmen sehen. Sie äußerte sich in steigender Angst und einem allgemeinen Mangel an Zuversicht. Womöglich wurde diese Stimmung durch die bevorstehende Eiszeit noch verschärft.
    Eine erste Zeremonie war beim Aufgang der Roten Sonne geplant; bei Sonnenuntergang dann sollte Rika zur Kaiserin erklärt werden. Dieser Tag würde in die Geschichte eingehen – oder doch in die Geschichtsbücher. Brynd hatte zwei Nachtgardisten vor Eirs und Rikas Gemächern postiert und sich auf des Kanzlers Bitte zu Urtica begeben. Die beiden trafen sich im Kriegssaal, wo sonst taktische und strategische Debatten stattfanden, und vielleicht nahm der Kommandeur dies als ersten Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmte.
    Brynd öffnete die Tür und sah Urtica am anderen Ende eines Tisches mit dem Rücken zum prasselnden Feuer stehen. In diesem Zimmer hingen keine Wandteppiche, nur Laternen und alte Waffen. Beim Eintreten begriff Brynd, dass das Gespräch gewiss nicht in seinem Sinne verlaufen würde.
    »Kommandeur, kommt bitte herein und macht die Tür zu! Es zieht ja wie Hechtsuppe.«
    Brynd schloss die Tür und trat näher. Seine Schritte klackten in der unbehaglichen Stille. »Was gibt es für ein Problem, Kanzler?«
    »Krieg, Kommandeur«, seufzte Urtica. »Leider.«
    »Und warum? Ich war kaum einen Monat unterwegs – was kann sich in der Zwischenzeit schon zusammengebraut haben? Uns sollte in diesen leidvollen Zeiten unbedingt an Frieden gelegen sein, meint Ihr nicht?«
    »Natürlich, aber

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