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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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verschaffen ihnen neue Reichtümer. Ihr seid Soldat, Kommandeur. Ich erwarte Besseres von Euch, als unseren Daseinszweck zu bezweifeln.«
    »Bei Bohr, wir hatten seit Jahren kein Scharmützel – bis auf Dalúk natürlich. Und dieser Mangel an militärischen Einsätzen ist eine gute Sache. Wir haben es geschafft, auf eher diplomatischem Wege Beziehungen zu den Stämmen vor Ort aufzubauen. Denkt Ihr, ich habe es zum Oberbefehlshaber gebracht, indem ich mit jedem Streit suchte, der mir über den Weg lief?«
    »Ist Euch nie in den Sinn gekommen, dass Ihr nur darum so rasch zu solchen Höhen aufgestiegen seid, weil Euch eine reiche Familie adoptierte? So laufen die Dinge in Villjamur! Ich hatte mehr von Euch erwartet, Kommandeur Lathraea. Da draußen leben mehrere Millionen Menschen, und wir sind dafür verantwortlich, sie zu hegen und zu ernähren. Wir müssen sie aus dem Elend ihrer Lehmhütten befreien und ihr Dasein verbessern. Eure Aufgabe ist nicht die eines Politikers, sondern die eines Wächters über das Kaiserreich. Und deshalb habt Ihr nach Tineag’l zu reisen, um eine größere Bedrohung zu verhindern, als sie selbst der Angriff seitens Varltung darstellen mag.«
    Da hatte der Kanzler etwas Stichhaltiges gesagt, auch wenn Brynd ihm nicht traute und sich fragte, wie viel von dem, was ihm über die Lippen kam, ernst gemeint sein mochte. In letzter Zeit geschahen viel zu viele seltsame Dinge, als dass man den Politikern noch hätte vertrauen können, und vielleicht hatten die letzten Umläufe der Monde nicht bloß das Wetter beeinflusst. Vielleicht erzeugten sie im Boreal-Archipel ja eine Art Irrsinn und schufen eine untergründige Anspannung, die sich nicht genau bestimmen ließ. Und in den nächsten Jahren würde alles nur schlimmer werden.

KAPITEL 24
    Jamur Rika saß auf dem Fensterbrett und blickte in den frühmorgendlichen Schnee hinaus, der in dicken Flocken fiel und auf Dächern, Verkaufsständen, Mauern und umgedrehten Fässern liegen blieb. Leute trabten durch trostlose Straßen und Gassen und versuchten, dem Schneetreiben zu entgehen und ihre unglücklich wirkenden Gesichter vor dem Niederschlag zu schützen. Nur Kinder schauten entzückt auf – wohl weil sie nicht verstanden, was der Wintereinbruch bedeutete.
    Sie konnte die Anspannung sogar dort oben spüren.
    All das war eine nötige Ablenkung, doch sie musste sich wieder umdrehen und sich ihrem Schlafzimmer stellen. Es war mit ungewohntem Luxus überhäuft, der ihr nicht gehörte (nicht, dass sie früher viel davon besessen hätte). Wer sein Leben dem Studium Astrids weihte, hatte kaum Bedarf für derlei Beiwerk. Überall standen violette Möbel und goldene und silberne Dinge herum, deren Zweck ihr schleierhaft war und die womöglich nur dekorativen Charakter besaßen. An der Wand gegenüber hing das weiße Seidenkleid, das sie zur Beisetzung ihres Vaters in der Krypta würde tragen müssen und dessen viele Lagen es weit prächtiger wirken ließen als das einfache schwarze Baumwollhemd, in dem sie zu schlafen pflegte.
    Und warum sollten die Flüchtlinge leiden, während sie all diesen Luxus genießen durfte? Rika wollte ihnen helfen und hatte bereits eine Idee ausgearbeitet, die sie Kanzler Urtica bei nächster Gelegenheit vorschlagen würde. Um sie mit Nahrung und Hilfe zu versorgen, wollte sie ihnen aus der Stadt Lebensmittelpakete schicken, als deren Absender die neue Kaiserin firmieren sollte. Dieser karitative Zug würde demonstrieren, dass sie ihr Bestes versuchte. Obwohl sie erst sehr kurze Zeit zurück in Villjamur war, kam es ihr wieder so vor, als würde der Rat sämtliche Entscheidungen treffen. Aber wenn sie auf etwas bestehen würde, dann auf der Idee mit den Lebensmittelpaketen.
    Sie hatte Mühe mit dem Einschlafen gehabt. Unzählige Ausrufer waren bis tief in die Nacht durch die Stadt gezogen und hatten das Begräbnis ihres Vaters laut in allen Straßen verkündet. Ihre klaren Stimmen waren in Rikas Träume eingedrungen und hatten den Schlummer der Kaiserin mit Bildern von Tod und Wiedergeburt bevölkert.
    Sie fühlte sich an einem Ort gefangen, der nicht ihr Zuhause war, und litt unter der Last ihrer Verantwortung. Sich im Jorsalir-Glauben zu üben, hatte sie immerhin ihr Schicksal annehmen lassen. Nun dagegen spürte sie eine große Sehnsucht, ohne recht zu wissen, wonach. Womöglich vermisste sie die Abgeschiedenheit der Südfjorde, wo kaum etwas sie von der Beschäftigung mit den täglichen Texten abgelenkt hatte (von einigen

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