Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
hinauf, während das Metallwesen aus dem Teich schritt, schwerfällig die Gelenke bewegte und die Glieder streckte. Randur bildete die Nachhut und kam sich völlig nutzlos vor, weil weit mehr als nur einige Schwertstreiche nötig wären, um diese Kreatur zu erledigen. Als sie sich ganz aufgerichtet hatte, berührte ihr Kopf ganz leicht die Höhlendecke, was einige Münzen wie Wassertropfen abspringen ließ.
Dann begann ihnen das Wesen mit riesigen, plumpen Schritten nachzutrampeln, wobei es einen Mordslärm machte.
Sie rannten davon.
»Bleibt zusammen und sucht nach schmalen Durchgängen!«, rief Randur. »Ich glaube nicht, dass unser Verfolger sich durch viele davon zwängen kann.«
»So wenig wie ich«, japste Munio.
Die Flammen der Fackel wurden kleiner, wenn sie in abgestandene, muffige Luft gerieten und umkehren mussten, und das Dunkel, das sie manchmal umgab, machte ihr Entkommen unwahrscheinlich. Der Gang verengte sich und weitete sich wieder. Randur wäre liebend gern stehen geblieben, um die Verfassung des sie verfolgenden Golems einzuschätzen. Er hörte noch immer Metall gegen Gestein klirren, wenn der Körper an Felsvorsprünge stieß, und stets regnete dabei klingelnd Münzfleisch zu Boden. Der Golem verfolgte sie weiter, doch Randur wollte sehen, wie viel von ihm noch übrig war.
Die Luft wurde frischer und kälter, als sie sich dem Freien näherten.
Sie kamen an der Lichtung heraus, über sich die Sterne, vor sich die verschneite, schimmernde Wiese. So eilig wie atemlos rutschten und glitten sie den Hang hinab. Der Münzgolem war nirgendwo zu sehen.
Randur spürte sein Herz hämmern und kauerte sich auf alle viere, bis er wieder einigermaßen bei Kräften war.
»Schluss jetzt mit diesen Dummheiten«, knurrte Munio. »Nächstes Mal folgen wir niemandem mehr an dunkle Orte, ist das klar?«
»Wir mussten Eir retten«, erinnerte ihn Randur. »Und ich wollte wissen, was das für Geschöpfe sind.«
»Eins sag ich euch«, keuchte Eir. »Ich bin froh, wenn mir so bald kein Geld begegnet.«
Randur umarmte sie und spähte dabei über ihre Schulter in die Finsternis.
»Danke, dass du mich gerettet hast«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Immerhin bist du jetzt unser Chefkoch«, gab er zurück. »Da kann ich dich doch nicht sterben lassen.«
KAPITEL 29
W enn Spinnen sich vom Wind in ein anderes Gebiet tragen lassen, nennt man das »Luftschiffen« oder »Ballooning«.
Zitternd verwandelte sie sich am offenen Fenster von Volands Studierstube im Obergeschoss und beobachtete, wie ihr Schatten sich an der Wand des kleinen, kerzenerhellten Zimmers verdoppelte, ja verdreifachte.
Sie erreichte ihre volle Größe.
Unterm Hinterleib sonderten vier Drüsen die Seide ab, die sie brauchte. Aufgrund einer Laune der Natur konnte die Spinne auch aus dem Mund Seide würgen, doch das haltbarste Material entsprang ihrem Leib. Das Gewebe begann sich zu festigen; sie sponn, glättete, verlängerte und verknüpfte es, krabbelte zum Fenster, ließ die Seide heraushängen und schwang sie hin und her, bis der Wind sie blähte. Als der hauchdünne Ballon zu fünffacher Größe geschwollen war, riss es sie mit ihm in den Himmel über Villiren.
Als Spinne spürte sie die beißende Eisluft nicht, sondern trieb behaglich und mit einem Gefühl von Freiheit dahin. Der Himmel war klar, aber dunkel, da die Doppelmonde hinter dem mächtigen Planeten verborgen waren. Indem sie an Seidenschnüren zog, manövrierte die Spinne den Ballon nach links oder rechts und nutzte Auf- und Abwinde. Selbst um Mitternacht war Villiren erstaunlich belebt, und sie musste sorgsam darauf achten, dass höhere Bauten ihr Dahingleiten verdeckten, was zumal über der Südstadt nicht einfach war. Von oben waren die Bewegungen all der Menschen nur als winzige Schwingungen und minimale Veränderungen der Luft wahrnehmbar.
Die Spinne trieb über Narbenhaus hinweg nach Allmende und hatte die Zitadelle praktisch hinter sich. Da dort die erfahrensten Soldaten versammelt waren, wollte sie nicht riskieren, von einem geschickten Bogenschützen entdeckt und abgeschossen zu werden, um sich dann einem Trupp brillanter Fechter gegenüberzusehen. Nun segelte sie über Shanties, den Stadtteil hinter Port Nostalgia, wo alte Schauerleute und Bergmänner lebten. Am Ufer würde es ruhig sein, und mit ein paar Beinen holte sie Schnüre ein, um die Ballongröße zu verringern.
Sie landete auf einem Flachdach, und das Gespinst sank in sich zusammen. Sie würde es für die
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