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Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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Rückreise erneut in den Wind halten müssen, befreite sich aber erst mal daraus, krabbelte zur Dachkante und spähte auf die Leute hinab, die unten auf der Straße unterwegs waren.
    Beobachten und abwarten.
    Voland brauchte gutes Fleisch, um einige Familien noch länger zu ernähren und die Lebensmittelpreise niedrig zu halten. Es ging dabei nicht um Moral – schließlich war Voland ein Intellektueller – , nein, sie dienten nur dem übergeordneten Wohl. Die Spinne konnte sich stets auf ihn verlassen, da er sein Werk mit Fähigkeiten ausgestattet hatte, die sie nur zu bewundern vermochte.
    Vier Soldaten kamen mit Flaschen in der Hand eine Gasse entlanggewankt, taumelten in tiefe Schatten und wieder heraus und lachten bisweilen selbstvergessen.
    Das Geschöpf wartete, bis ein Fiaker vorbeigefahren war, und würgte dann einen dünnen Faden hervor, an dem es sich rasch aufs Pflaster abließ. Dort beobachtete es die Menschen aus veränderter Perspektive und sah sie zwischen Häusern hindurchlaufen, die gesichtslos und zusammenhängend aufragten. Ein hüfthoher Trilobit mit ausgestreckten Fühlern kreuzte seinen Weg. Kaum hatte das kleine Tier die Gegenwart der Spinne gespürt, stieß es einen schrillen Schrei aus, doch sie zertrat es leise mit einem hakenförmigen Bein.
    Einer der Soldaten hörte das Geräusch, drehte sich um und zog schreiend sein Schwert. Sofort taten die anderen es ihm nach und näherten sich der Spinne Schulter an Schulter. Dann blieben drei von ihnen stehen, während der Vierte sich vorwärtsschob. Die Spinne spie ihm Seide ins Gesicht, und als er die Hände hochriss, verpasste sie ihm den Todesstoß und kickte ihn beiseite. Mit sechs gespreizten Beinen sprang sie auf die übrigen Männer zu und stieß sie zu Boden. Waffen klirrten übers Pflaster. Wie aus einer nässenden Wunde sickerte Seide auf die schmerzverzerrten Gesichter der Soldaten, bis deren verzweifelte Bewegungen in hilflose Zuckungen übergingen. Dann rührten sie sich nicht mehr.
    Es war so einfach, ging so schnell.
    Die Spinne nahm ihr erstes Opfer, legte es zu den anderen, betrachtete die vier und wartete auf Reaktionen.
    Es kamen keine.
    Als sie die Toten zum Abtransport um die Ecke wuchtete, tauchte ein weiterer Uniformierter auf. Wild biss die Spinne auf ihn ein, riss ihm den Bauch auf und zerrte die stark blutende Leiche hinter einen Müllhaufen.
    Dann schaffte das Tier die anderen Toten nacheinander aufs Dach und überlegte, wie sie das zusätzliche Gewicht durch die Luft schaffen sollte. Sie verbrachte einige Zeit damit, weitere Ballons zu spinnen und sie wie riesigen Froschlaich zu verbinden.
    Tiefe Nacht fiel über Villiren. Wolken zogen auf und verhüllten das Sternenlicht. Die Flut spritzte an die Kaimauern von Port Nostalgia. Einzelne Flocken fielen sanft vom Himmel und vermittelten eine seltsame Ruhe.
    Beim Aufsteigen bemerkte die Spinne, dass in einer Seitenstraße ein menschliches Mischwesen in Schwarz mit lautlosem Schrei hustend in die Gosse würgte. Doch sie hatte keine Zeit, zu prüfen, worum es sich handeln mochte.
    Brynd stieß das Schwert weg, und es klirrte an Nelums Füßen vorbei übers Pflaster. Sein Leutnant sah überrascht auf, doch das war dem Kommandeur egal. Zwischen ihnen hatte sich ohnehin Distanz entwickelt, eine durch prekäre Geheimnisse und hitzige Spekulationen geschaffene Barriere.
    Im Moment sorgte Brynd sich darum, was auf den Straßen Villirens geschah. Sein Tag war jetzt schon ruiniert, obwohl der Morgen kaum graute und der Horizont noch fast so düster war wie die Stadtlandschaft. Er stand genau dort, wo erneut Soldaten verschwunden waren. Die Schwerter am Boden stammten aus den Beständen der Kaiserlichen Armee, wie ihre Runen bewiesen.
    Der rötliche, ältere Kerl in dicken Lumpen, der sie gerufen hatte, besaß den manischen Blick der Besessenen.
    »Genau hier, ganz genau, ja«, murmelte er und rieb sich unaufhörlich die Hände. »Ich hab in meinem Unterschlupf geschlafen, wo es hübsch warm ist; dann hab ich Schreie gehört, und als ich aufstand … wie gesagt, eigentlich wollte ich nur von dem da weg.« Er wies auf einen schlanken Mann, der mit hochgeschlagenem Kragen an der Wand lehnte, einen Glimmstängel rauchte und ungemein kultiviert wirkte.
    »Der ist dafür verantwortlich?«, fragte Brynd.
    »Ha! Der doch nicht, aber er kann für mich bürgen.«
    Brynd warf Nelum einen raschen Blick zu, und sie gingen zu dem Fremden.
    »Wie heißt Ihr?«, wollte Brynd wissen.
    Der ganz in

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