Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
Vom Netzwerk:
dem Boden lagen ein paar Teppiche, und an den grünen Wänden hing ein wenig Kunst. Das Zimmer war recht angenehm – trotz des Geruchs, der bei schlechtem Wetter von unten aufstieg.
    Er warf seinen Zylinder auf einen Beistelltisch, platzierte daneben einen Becher Whisky, ließ sich seufzend im Sessel nieder, streifte Schuhe und Socken ab und massierte die wunden Füße.
    »Nicht schon wieder«, brummte er laut, da seine Oberhaut sich kräftig schälte. Nur einer seiner Füße war menschlich – der andere stammte von einem Riesenkäfer, den er einem Kultisten aus Ysla abgekauft hatte. Nach den starken Erfrierungen, die er sich vor über zwanzig Jahren auf einer Expedition zugezogen hatte, war er gezwungen, seine chirurgischen Fähigkeiten auch auf sich selbst anzuwenden. Solche Maßnahmen hatten immer etwas von einer Lotterie. Er hatte es mit diversen Säugetieren probiert, dann aber festgestellt, dass Käferbeine das beste Ergebnis zeitigten. Es war qualvoll und nahezu unmöglich gewesen, sich selbst zu operieren, doch mithilfe seiner Phonoi-Freunde war es ihm gelungen, den Käferfuß auf den Stumpf zu pfropfen, der ihm von seinem Bein geblieben war.
    Er zog eine Bürste unterm Tisch hervor und entfernte damit die Hautschuppen. Das klang, als würden Fußnägel auf den Teppich regnen.
    Plötzlich jagte eine schwarze Katze unterm Sessel vor, drehte sich um und sah Voland seiner Gewohnheiten wegen verächtlich an. Er lachte bloß in sich hinein, während das Tier ungehalten aus dem Zimmer schritt.
    Schließlich beendete er das Gebürste, rieb seinen schwächeren Menschenfuß, um sich ein wenig zu trösten, und machte es sich dann mit seinem Whisky gemütlich. Auf dem Tisch lag ein Brief des Bürgermeisters. Luttos ins Papier eingeprägte Insignien waren selbst im Halbdunkel unübersehbar.
    Also, wer mag es diesmal sein?
    Er öffnete den Umschlag und legte sich das Schreiben auf den Schoß:
    Deltrun – Shanties, Dritte Straße West.
    Bacunin – Narbenhaus; organisiert Streiks bei Ferryby, schläft in der Wohnung über dem Gewerkschaftssitz.
    Bucharin – Altstadt, Wohnung Drei im Tauridkomplex; organisiert Streiks bei Coumby.
    Plechanoff – Narbenhaus, Vierte Straße, neben einem ungeschützten Basar.
    Sedowa – seine Frau, gleiche Adresse.
    Am Fuß der Seite folgten zusammengewürfelte Bemerkungen und Notizen, die der Bürgermeister persönlich zu Papier gebracht hatte: Bei den Genannten handele es sich um »Spenden« für die Sache, die »dann hoffentlich von größerem Nutzen sind als jetzt«. Voland fragte sich, wer diese zusätzlichen Leute waren, welche Rolle sie in den Angelegenheiten der Stadt spielten und warum der Bürgermeister sie ausgewählt hatte.
    Sein Name wurde gewispert: »Voland … «
    Der Doktor blickte auf, als die Spinne sich durch die Luke in der Decke abließ.
    »Du bist also zurück.« Voland erhob sich lässig, als wäre ein Gast zum Abendessen gekommen.
    »Ja.« Wie stets, wenn sie in diesem Zustand war, klang ihre Stimme wie das Pfeifen des Windes. »Ich habe … wieder zwei.«
    »Prima! Wo hast du sie gelassen?«
    »Unten in der ersten Abteilung des Schlachthauses.«
    »Prima.«
    Die Verwandlung geschah vor seinen Augen: Die Spinne krümmte sich, schwoll etwas an … und gewann ruckhaft ihre natürliche Gestalt zurück. Voland trat an einen Schrank, zog eins seiner Nachthemden mit Monogramm heraus und gab es ihr.
    »Danke«, sagte Nanzi, und er bemerkte einmal mehr mit Freude, dass sie zwei große Spinnenbeine behielt, die sich ungelenk, aber wirksam mit ihren menschlichen Hüften verbanden. Manchmal war es ein Wunder, dass sie damit laufen konnte; ein Wunder, das seiner Kunstfertigkeit zu verdanken war.
    Er strahlte. »Magst du ein heißes Bad nehmen? Das Feuerkorn erzeugt heute Abend eine ausgezeichnete Wärme.«
    »Falls es keine Umstände macht.«
    »Doch nicht in deinem Fall, meine Süße.«
    Lange ehe er ihr seine Zuneigung gestanden hatte, war er schon in ihr sanftes Lächeln verliebt gewesen, und dieses Lächeln vergrößerte ihr natürliches Charisma nur. Sie war viel jünger als er, doch der Altersunterschied weckte in ihm – neben vielem anderen – das dringende Bedürfnis, sie zu beschützen. Voland würde alles dafür tun, dass Nanzi sich gut umsorgt fühlte.
    Er hatte Nanzi vor fünf Jahren entdeckt. Damals hatte sie mit zerschmetterten Beinen im kleinen Juul auf der anderen Seite der Insel Y’iren unter Mauerwerk gelegen. Juul war ein ruhiger, vom friedlichen Meer

Weitere Kostenlose Bücher