Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
Hinterläufe.
So bebte es verzückt.
Plötzlich schoss Licht aus dem Relikt und bildete einen riesigen Käfig, in dem die Spinne gefangen war. Das Wesen warf sich wiederholt und unter gellenden Schreien gegen die Gitterstäbe aus gleißender Helligkeit, doch das war sehr schmerzhaft und zwang das Tier stets zum Rückzug. Nach mehreren Versuchen kauerte sich die Spinne besiegt nieder, und ihr Körper hob und senkte sich unter Krämpfen.
»Großartig!«, verkündete Bellis und klatschte. »Das war einfach, was, Jeryd?« Das Glühen des Lockrelikts ließ nach, das Gewimmel der kleinen Spinnen stockte, und schon folgten sie wieder dem eigenen Willen, liefen noch kurz verunsichert herum und verschwanden dann in alle Richtungen.
Jeryd näherte sich dem Käfig und taxierte das Tier darin. Er hatte erwartet, sehr viel mehr Angst zu verspüren. Dieses Wesen also raubte die Leute von den Straßen? Was für ein Fall war das nur? Er war es seit Langem gewohnt, mit Ungeheuern der Gattung Mensch oder Rumel zu tun zu haben, aber das hier … war etwas ganz anderes.
Die drei Mitglieder des Ordens der Grauhaarigen kamen von hinten und musterten das Ungeheuer im Käfig. Bellis machte sogar einige Skizzen, während die anderen die Spinne von allen Seiten begutachteten. Abaris murmelte Bemerkungen über die Anatomie des Tiers und seine Verwandtschaft mit anderen Spinnenarten vor sich hin.
Das Wesen schien unzählige Augen zu besitzen, die alle das Licht der Käfigstäbe spiegelten. Und all diese Augen musterten und taxierten ihn. Jeryd überlegte, ob es an seiner Phobie lag, doch er hatte das deutliche Gefühl, die Riesenspinne wusste genau, wer er war.
Voland sprang aus dem Bett, als er die Phonoi unten kreischen hörte.
Wo war Nanzi? Panisch und im Gefühl, dass etwas nicht stimmte, zog er sich hastig an, eilte auf den Flur und rief nach ihr. Keine Antwort. Er stolperte die Treppe hinunter.
Nirgendwo fand sich ein Hinweis auf sie. Also stürzte er weiter ins tiefdunkle Schlachthaus, wo es wie stets nach Tod stank. Doch auch dort schlug ihm nur Stille entgegen.
»Nanzi!«, rief er dringlich. »Nanzi, bist du da?«
»Hier ist sie nicht«, sagte ein Phonoi und veränderte dabei sein geisterhaftes Antlitz von einem schreienden Kind über eine alte Frau zu tiefer Schwärze.
»Verzeihung, Sir«, meldete sich ein anderer, »wir wissen, dass sie ausgegangen ist. Wir spüren sie … «
»Sie ist am anderen Ende der Stadt.«
»Wir spüren, dass sie gefangen ist.«
Die Phonoi erglühten in der Stille des Schlachthauses, bewegten sich dabei durch die Luft wie stets, zischten plötzlich nah an ihm vorbei und lösten sich wieder in nichts auf. Voland wünschte, sie würden an Ort und Stelle bleiben, damit er einige klare Antworten von ihnen bekäme.
»Wo ist sie?«, fragte er flehend.
»Wir wissen nur, dass sie gefangen ist«, antworteten die Phonoi. »Das spüren wir.«
»Ich muss zu ihr«, erklärte er. »Helft mir bitte!«
»Für Euch tun wir doch alles, Doktor Voland«, riefen sie besänftigend. »Was immer Ihr wollt.«
Nach kurzer Stille nahmen einige Gestalt an, bildeten einen Kreis, drehten sich wirbelnd um Voland und rückten ihm immer näher. Der Wind, den sie dabei erzeugten, ließ ihn sich leicht fühlen, und er begriff, dass er in die Luft gehoben und den Weg zurückgetragen wurde, den er ins Schlachthaus gekommen war.
»Sie braucht etwas zum Anziehen, wenn sie sich zurückverwandelt … «, begann Voland.
Die Phonoi beförderten ihn eilig in die erste Etage zurück, ließen ihn einige Sachen für Nanzi packen und trugen ihn wieder nach unten. Es war schwindelerregend.
Vor ihm knallte eine Tür auf, und als er plötzlich durch die Straßen der Stadt schwebte, zeigten die Leute ungläubig mit dem Finger auf ihn. Die Phonoi hielten ihn senkrecht, sodass es aussah, als schritte er durch die Luft, und er hielt den Hut fest, als sie höher stiegen und sich über die verschneiten Dächer Villirens hinweg westwärts hielten. Kleine Straßenfeuer waren zu sehen, Fackeln und magische Blitze, das Kommen und Gehen der Tavernenbesucher, Soldatenpatrouillen … all das wirkte von oben herzlich klein.
Er flog zu seiner Geliebten.
Jeryd drehte sich um und streckte die Hand aus. »Da hinten über den Dächern.« Etwas bewegte sich knapp überm Horizont, eine Gestalt, deren Konturen in einem schwachen weißen Leuchten verschwammen. Sie schwankte etwas vor und zurück und kam stetig näher. Fledermäuse stoben aus den Spalten an
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